Rechtsprechung

Anteilsveräußerung: Zuordnung des im Rahmen einer Kapitalerhöhung in die Kapitalrücklage eingezahlten Aufgeldes – Einheitliche Überprüfung der Gewinnerzielungsabsicht – Gestaltungsmissbrauch

Orientierungssatz:

  1. Die Gewinnerzielungsabsicht bei einer Anteilsveräußerung i.S.d. § 17 EStG ist auch dann nicht anhand jedes einzelnen veräußerten Anteils, sondern einheitlich für alle veräußerten Anteile zu prüfen, wenn unter Geltung der Rechtslage vor der Einfügung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG mit dem Gesetz v. 12.12.2019 das von dem Veräußerer im Rahmen einer Kapitalerhöhung in die Kapitalrücklage eingezahlte Aufgeld ausschließlich den Anschaffungskosten des mitveräußerten neu geschaffenen Anteils zuzuordnen war (vgl. BFH-Urteil vom 27.05.2009 I R 53/08, BFH/NV 2010, 375).
  2. Ungeachtet dieser Zuordnung der Anschaffungskosten stellt der Anteilserwerb durch Kapitalerhöhung unter Aufgeldzahlung keinen der steuerlichen Anerkennung eines hieraus resultierenden Veräußerungsverlustes entgegenstehenden Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klägerin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann – dem Kläger – zur Einkommensteuer veranlagt wird, war ursprünglich Alleingesellschafterin der am 13.11.2015 gegründeten A GmbH (GmbH), deren Gegenstand der Ankauf und die Verwaltung von Bestandsimmobilien ist. Das Stammkapital betrug bei Gründung 25.000 € und war eingeteilt in 25.000 Geschäftsanteile im Nennbetrag von jeweils 1 € (lfd. Nr. 1 bis 25.000).

Mitte Dezember 2015 (Streitjahr) beschloss die Klägerin eine Kapitalerhöhung und schuf zur Durchführung einen neuen Geschäftsanteil mit der lfd. Nr. 25.001 (Neuanteil) im Nennbetrag von 1.000 €. Neben der Einlage i.H.v. 1.000 €, zahlte die Klägerin gemäß Punkt 3 des Kapitalerhöhungsbeschlusses, ein Aufgeld i.H.v. 500.000 € in die Kapitalrücklage der GmbH ein.

Kurz darauf veräußerte die Klägerin die Geschäftsanteile mit den lfd. Nr. 24.701 bis 25.001 (veräußerte Beteiligung) zu einem Kaufpreis i.H.v. 26.300 € an den Kläger.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG i.H.v. – 285.000 € geltend. Dem lag folgende Berechnung zu Grunde:

Veräußerungspreis  26.300 €
./.Nennwert Geschäftsanteile lfd. Nr.24.701 bis 25.000 300 € 
./.Nennwert Geschäftsanteil lfd. Nr.25.001 1.000 € 
./.Aufgeld für den Geschäftsanteil lfd. Nr. 25.001 500.000 € 
Summe Anschaffungskosten 501.300 € – 501.300 €
Einkünfte  – 475.000 €
Einkünfte (nach Teileinkünfteverfahren)  – 285.000 €

Mit Bescheid vom 14.09.2018 setzte der Beklagte (Finanzamt – FA -) die Einkommensteuer auf 0 € fest. Abweichend von der Steuererklärung berücksichtigte er – unter Verneinung einer Gewinnerzielungsabsicht bezüglich des Neuanteils – einen Gewinn aus der Veräußerung der Anteile mit den lfd. Nr. 24.701 bis 25.000 (veräußerte Altanteile) i.H.v. 5.770 €. Dem lag folgende Berechnung zugrunde:

 Altanteile Neuanteil
 Veräußerungspreis 6.070 € 20.230 €
 ./. Nennwert 300 € 1.000 €
 ./. Aufgeld  500.000 €
Einkünfte (ohne Teileinkünfteverfahren) 5.770 € – 480.770 €

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, dass der erklärte Veräußerungsverlust anzuerkennen sei, da die veräußerten Anteile insgesamt mit Gewinnerzielungsabsicht erworben und gehalten worden seien. Im Rahmen des § 17 EStG sei das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht einheitlich für die gesamte veräußerte Beteiligung und nicht hinsichtlich jedes einzelnen veräußerten Anteils zu prüfen.

Hierfür spreche bereits der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, der bei der Formulierung „unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt“ ausdrücklich auf die Beteiligung als Prüfungsgegenstand abstelle.

Auch ein Vergleich mit den sonstigen gewerblichen Einkünften, denen die hier streitigen Einkünfte zugeordnet würden, spreche für eine einheitliche Beurteilung. Bei der Veräußerung eines Gewerbebetriebs werde nicht jedes einzelne mitveräußerte Wirtschaftsgut auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht überprüft. Ebenso wie ein Gewerbetreibender mit einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter unter Preis ggfs. eine spätere Gewinnerzielung beabsichtige, stehe auch im vorliegenden Fall dem Verlust aus der Veräußerung des Neuanteils ein Gewinn aus der Veräußerung der bereits veräußerten Altanteile sowie ein ggfs. in Zukunft zu erzielender Gewinn aus der Veräußerung der anderen Anteile mit den lfd. Nr. 1 bis 24.700 gegenüber.

Es gäbe auch keinen ersichtlichen Grund, warum eine einheitliche Beteiligung künstlich in mehrere Beteiligungen aufgespalten werden sollte. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es sich beim Halten des einen Anteils um eine mit Gewinnerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit handeln solle, während es sich beim Halten eines anderen, im Wesentlichen gleichen Anteils an derselben Kapitalgesellschaft, um eine Tätigkeit handeln solle, die dem Bereich der allgemeinen Lebensführung oder der Verwirklichung persönlicher Neigungen zuzuordnen sei.

Die Nichtberücksichtigung des geltend gemachten Veräußerungsverlusts stelle überdies einen Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtlich verankerten objektiven Nettoprinzips dar. Wenn die Gewinne aus der Veräußerung der jetzt veräußerten Altanteile sowie aus einer zukünftigen Veräußerung der anderen Altanteile berücksichtigt würden, sei auch der Verlust aus der Veräußerung des Neuanteils zu berücksichtigen. Denn die Gewinne entstünden durch die aufgrund der Wertsteigerung der Altanteile in Folge der Aufgeldzahlung höher zu erzielenden Veräußerungspreise. Dann aber müsse auch der durch die Aufgeldzahlung entstandene Aufwand steuerlich berücksichtigt werden. Das objektive Nettoprinzip gebiete nicht nur, dass Aufwendungen, die zur Erzielung von Einnahmen getätigt würden, tatsächlich von den Einnahmen abgezogen würden, sondern auch, dass Verluste zumindest periodenübergreifend mit Gewinnen ausgeglichen würden. Die Versagung der Verlustberücksichtigung stelle einen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar. Insbesondere könne nicht das Rechtsinstitut der „Liebhaberei“ als Rechtfertigung herangezogen werden. Im Gegensatz zu den typischen „Liebhaberei-Tätigkeiten“, z.B. das Vermieten einer Segeljacht, dem Züchten von Pferden oder dem Sammeln von Kunstgegenständen, könne beim Halten von Kapitalgesellschaftsanteilen nicht von privaten Neigungen oder einem Hobby ausgegangen werden. Daher werde bei § 17 EStG die Einkünfteerzielungsabsicht regelmäßig vermutet.

Zu beachten sei, dass wirtschaftlich überhaupt kein Verlust entstanden sei. Das Aufgeld verteile sich gleichmäßig (entsprechend der Nennwerte) auf alle Anteile, sodass jedem Altanteil wirtschaftlich (nachträgliche) Anschaffungskosten von rd. 19,23 € und dem Neuanteil Anschaffungskosten von 19.230 € zuzurechnen seien. Dem Kaufpreis i.H.v. 26.300 € stünden demnach Anschaffungskosten i.H.v. ebenfalls 26.300 € (Nennwerte 1.300 € und anteiliges Aufgeld 25.000 €) gegenüber. Ein Veräußerungsverlust ergebe sich lediglich steuerlich, da nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27.05.2009 I R 53/08 ein für den Erwerb eines GmbH-Anteils im Rahmen einer Kapitalerhöhung gezahltes Aufgeld ausschließlich dem neu erworbenen Anteil als Anschaffungskosten zuzuordnen sei.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2015 und vom 14.09.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.04.2020 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte der Klägerin aus Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStG auf – 285.000 Euro herabgesetzt werden,

hilfsweise im Unterliegensfalle, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es vor, dass sich die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht auch bei § 17 EStG an der Einkunftsquelle, d.h. dem einzelnen Geschäftsanteil, zu orientieren habe. Der Geschäftsanteil als solcher verkörpere den quotalen Anteil an den stillen Reserven der Kapitalgesellschaft und berechtige zur Teilnahme an der Gewinnverteilung i.S.d. § 29 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Die zivilrechtliche Selbständigkeit des einzelnen Geschäftsanteils sei auch für das Steuerrecht maßgeblich.

Es sei denkbar, dass Geschäftsanteile zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus unterschiedlichen Motiven erworben würden. So könnten Erwerbsanlässe einen spekulativen Charakter haben oder aber übergeordneten strategischen Überlegungen folgen. Hinsichtlich des Neuanteils habe die Klägerin bereits im Erwerbszeitpunkt davon ausgehen müssen, während der von vornherein beabsichtigten nur kurzen Haltephase bis zu einer späteren Veräußerung keinen Totalgewinn erzielen zu können.

Der Wortlaut des § 17 EStG spreche – anders als die Kläger meinten – für eine separate Überprüfung der Geschäftsanteile. Formulierungen wie „der veräußerte Anteil“, „Veräußerung der Anteile“ oder „Veräußerungspreise der Anteile“ würden gleich mehrfach verwendet. Dies ließe den Willen des Gesetzgebers, auf den einzelnen Anteil abzustellen, erkennen.

Auch nach der zu § 20 EStG ergangenen Rechtsprechung, die auf § 17 EStG übertragbar sei, sei eine Totalerfolgsprognose nicht pauschal für die gesamte Einkunftsart, sondern bei Vorhandensein mehrerer Kapitalanlagen grundsätzlich für jede Kapitalanlage gesondert zu erstellen. Auch bei Schuldzinsen sei für jede einzelne Aktie zu beurteilen, ob und inwieweit der zur Anschaffung der Aktie aufgenommene Kredit der Ertragserzielung oder der Kapitalanlage diene.

Unabhängig davon, dass dem Gesellschafter hinsichtlich der Finanzierung seiner Gesellschaft grundsätzlich Gestaltungsfreiheit zukomme, sei zu berücksichtigten, dass aufgrund des Unternehmensgegenstands – Ankauf und Verwaltung von Bestandsimmobilien – bereits bei Gründung der GmbH bekannt gewesen sei, dass ein deutlich über dem Stammkapital von 25.000 € liegender Finanzierungsbedarf bevorstehe. Diesem hätte durch eine ausreichende Finanzierung bei Gründung oder aber durch eine freiwillige Einzahlung in die Kapitalrücklage unabhängig von einer Kapitalerhöhung begegnet werden können. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Gesellschaftsgründung, der Kapitalerhöhung und der Veräußerung der Anteile sowie der vornherein bestehende Plan, gemeinsam Immobilieninvestments zu tätigen, seien Indizien für eine Gesellschaftsgestaltung, deren Ziel es gewesen sei, einen Veräußerungsverlust zu generieren. Es ließen sich weder andere wirtschaftliche Gründe für die Wahl einer solchen Strukturierung erkennen noch könne davon ausgegangen werden, dass ein fremder Dritter ein solch hohes Aufgeld gezahlt hätte.

Sofern die Gewinnerzielungsabsicht nicht separat anhand des einzelnen veräußerten Anteils zu prüfen sein sollte, sei das Aufgeld gleichmäßig auf alle Anteile an der GmbH zu verteilen. Der neu eingefügte § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG, der eine solche gleichmäßige Aufteilung nunmehr normiert, sei rein deklaratorischer Natur, da die gleichmäßige Verteilung des Aufgeldes der vorher schon geltenden Verwaltungspraxis entspräche. Das von den Klägern angeführte BFH-Urteil, wonach das Aufgeld ausschließlich dem Neuanteil zuzuordnen sei, stünde dem auch nicht entgegen, da es sich hier um eine nicht allgemein anwendbare Einzelfallentscheidung handele.

Gründe:

I. Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 14.09.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.04.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Zu Unrecht hat das FA den von den Klägern geltend gemachten Veräußerungsverlust i.H.v. – 285.000 € im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 17, § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c, § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG nicht berücksichtigt.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Bei der Anwendung des § 17 EStG sind die Grundaussagen des § 2 Abs. 1 EStG über die Steuerbarkeit des Einkommens vorgegeben (BFH-Urteil vom 04.11.1992 X R 33/90, BStBl II 1993, 292, unter 5.e), mithin auch die Notwendigkeit, dass der wesentlich Beteiligte die Anteile mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, erwerben und halten muss. Fehlt es an der Absicht der Einkünfteerzielung, liegen keine steuerbaren Einkünfte vor (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.06.1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751, unter C.IV.3.c aa).

Die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht erfolgt zweigliedrig: Zunächst wird die objektive Erfolgsprognose und erst dann – sofern die Erfolgsprognose negativ ist – die subjektive Gewinnerzielungsabsicht des Steuerpflichtigen und/oder seine privaten Gründe für seine Tätigkeit geprüft (Wacker in Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 41. Auflage 2022, § 15 Rn. 24 m.w.N.).

aa) Bei der Prüfung der Erfolgsprognose wird nicht abschnittsbezogen ein Periodengewinn in Bezug genommen, sondern der Totalgewinn als Gesamtergebnis der steuerrelevanten Tätigkeit oder Nutzung von Kapitalvermögen (Urteil vom 29.06.1995 VIII R 68/93, BStBl II 1995, 722, unter II.1.b cc).

bb) Regelmäßig ist bei Vorliegen einer positiven Erfolgsprognose bei gewerblichen Einkünften aus der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung davon auszugehen, dass der wesentlich Beteiligte eine entsprechende Absicht der Gewinnerzielung besitzt, auch wenn die Gewinnerzielung bei kurzer Dauer der Beteiligung im Einzelfall in den Hintergrund treten kann (BFH-Urteil vom 04.11.1992 X R 33/90, BStBl II 1993, 292, unter 5.e); BFH-Urteil vom 29.06.1995 VIII R 68/93, BStBl II 1995, 722, unter II.1.b bb). Bei einem negativen Gesamtergebnis oder einer objektiv negativen Ergebnisprognose ist aber nicht zwingend von Liebhaberei auszugehen, sondern nur dann, wenn die Tätigkeit auf ertragsteuerlich unbeachtlichen Motiven beruht, z.B. weil die verlustbringende Tätigkeit aus Gründen allgemeiner Lebensführung oder persönlichen Neigungen ausgeübt wird (BFH-Urteil vom 30.10.2014 IV R 34/11, BStBl II 2015, 380, unter II.2.b aa).

Die Gewinnerzielungsabsicht ist im Rahmen des § 17 EStG nicht anhand jedes einzelnen veräußerten Anteils, sondern einheitlich für alle veräußerten Anteile zu prüfen. Dies ergibt sich aus der periodenübergreifenden Betrachtung bei Ermittlung der Erfolgsprognose, aus der gesetzlichen Zuordnung der Einkünfte nach § 17 EStG zu den gewerblichen Einkünften gemäß § 15 EStG sowie aus den Gründen der Neueinführung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG.

aa) Dem Wortlaut des § 17 EStG ist nicht zu entnehmen, ob die Gewinnerzielungsabsicht anhand jedes einzelnen veräußerten Anteils oder einheitlich für alle veräußerten Anteile zu prüfen ist. In § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG ist zwar vom „veräußerten Anteil“ sowie in § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG von „Veräußerungspreis[es] der Anteile“ die Rede. Demgegenüber wird in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG die Formulierung „zu mindestens 1 Prozent beteiligt“ verwendet. Ein Rückschluss darauf, wie die Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen des § 17 EStG zu prüfen ist, kann aus dem Wortlaut der Regelung nicht gezogen werden.

bb) Die für die Ermittlung der Erfolgsprognose im Rahmen der Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht maßgebliche periodenübergreifende Betrachtung lässt den Schluss zu, dass bei der Überprüfung der Gewinnerzielungsabsicht auf die gesamte veräußerte Beteiligung und nicht auf den einzelnen veräußerten Anteil abgestellt werden muss.

(1) Wirtschaftlich ist für die Klägerin kein Verlust entstanden. Das in die Kapitalrücklage eingezahlte Aufgeld verteilt sich auf alle Geschäftsanteile an der Kapitalgesellschaft und wertet diese entsprechend ihrer Nennwerte auf. Ermittelt man den Veräußerungsgewinn unter Zugrundelegung dieser gleichmäßigen Verteilung des Aufgelds hätten dem Veräußerungspreis i.H.v. 26.300 € Anschaffungskosten i.H.v. insgesamt 26.300 € gegenüber gestanden.

(2) Ein Veräußerungsverlust entsteht nur steuerlich. Nach dem BFH-Urteil vom 27.05.2009 (I R 53/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2010, 375, unter II.2.a) – dem sich der Senat anschließt – ist das im Rahmen einer Kapitalerhöhung in die Kapitalrücklage eingezahlte Aufgeld ausschließlich dem neu geschaffenen Anteil zuzuordnen. Es handelt sich bei dem Aufgeld um einen Bestandteil der Gegenleistung, die der Erwerber aufbringen muss, um den zur Durchführung der Kapitalerhöhung neu geschaffenen Anteil erwerben zu können (BFH-Urteil vom 27.05.2009 I R 53/08, BFH/NV 2010, 375, unter II.2.a m.w.N.). Das Aufgeld ist deshalb nur jenen Geschäftsanteilen als Anschaffungskosten zuzurechnen, für deren Erwerb es aufzubringen war. Danach stehen dem Veräußerungspreis von 26.300 € Anschaffungskosten von insgesamt 501.300 € gegenüber. Die Rechtsprechung des BFH hat trotz der Einfügung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG durch Gesetz vom 12.12.2019 (n.F.) Bedeutung für das Streitjahr. Diese Neuregelung gilt erst für Veräußerungen i.S.v. § 17 Abs. 1, Abs. 4 oder Abs. 5 EStG nach dem 31.07.2019 und nur auf Antrag des Steuerpflichtigen, der hier nicht gestellt wurde, bereits für Veräußerungen vor dem 31.07.2019 (vgl. § 52 Abs. 25a EStG).

(3) Eine Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Veräußerungsverluste würde überdies einen Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip darstellen. Der Gesetzgeber legt der Einkommensteuer das aus dem generellen verfassungsrechtlichen Maßstab des Gleichheitssatzes abgeleitete sog. objektive Nettoprinzip (einfachgesetzlich normiert in § 2 Abs. 2 EStG) zugrunde, nach dem nur das Nettoeinkommen, also die Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen, besteuert werden (BFH-Urteil vom 15.12.2016 VI R 53/12; BStBl II 2017, 938, unter 3.c; BFH-Urteil vom 26.02.2014 I R 59/12, BStBl II 2014, 1016, unter III.1.a aa). Ein Verlustausgleich soll danach auch periodenübergreifend vorgenommen werden (BFH-Urteil vom 26.02.2014 I R 59/12, BStBl II 2014, 1016, unter III.1.a bb m.w.N.).

Eine Veräußerung der bis heute noch von der Klägerin gehaltenen Anteile mit den lfd. Nr. 1 bis 24.000, führt nach dem Erkenntnisstand von Dezember 2015 zu Veräußerungsgewinnen. Für diese Anteile wird aufgrund der wirtschaftlichen Aufwertung durch die Kapitalrücklagen der GmbH ein Veräußerungspreis über dem Nennwert zu erzielen sein. Bei dem dann zu berechnenden Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 2 EStG ist das Aufgeld, aufgrund seiner vorangegangenen ausschließlichen Zuordnung zum Neuanteil, nicht mehr gewinnmindernd zu berücksichtigen. Folgte man der Auffassung des FA, würden die zukünftig entstehenden Gewinne steuerlich berücksichtigt werden, während das Aufgeld, trotz seiner gewinnsteigernden Auswirkung, steuerlich keine Berücksichtigung als Erwerbsaufwendung gefunden hätte.

cc) Darüber hinaus ist die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen des § 17 EStG genauso vorzunehmen, wie bei den sonstigen gewerblichen Einkünften nach § 15 EStG. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ordnet die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen den gewerblichen Einkünften nach § 15 EStG zu.

(1) Zu den gewerblichen Einkünften gehören auch die Einkünfte aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebs als Sachgesamtheit. Bei einer solchen Veräußerung wird nicht jedes einzelne mitveräußerte Wirtschaftsgut auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht hin überprüft. Es ist nicht unüblich, dass einige Wirtschaftsgüter unterpreisig und gleichwohl mit der Absicht der Erzielung eines Gesamtgewinns, veräußert werden. Andernfalls würde eine Betriebsveräußerung künstlich aufgespalten werden und eine genaue Kaufpreisaufteilung wäre erforderlich.

(2) Zudem kann der von der Rechtsprechung zu den gewerblichen Einkünften nach § 15 EStG entwickelte Gedanke der Segmentierung auf die Einkünfte nach § 17 EStG übertragen werden. Verschiedene Aktivitäten des Steuerpflichtigen sind danach je nach den Umständen des Einzelfalls einheitlich (sog. Beurteilungseinheit) oder getrennt (sog. Segmentierung; BFH-Urteil vom 15.11.2006 XI R 58/04, BFH/NV 2007, 434, unter II.1.a) zu würdigen. Selbständige Tätigkeiten, die nicht bloße Hilfs- oder Nebentätigkeiten zu einer gewerblichen Haupttätigkeit sind, müssen gesondert beurteilt werden; abzugrenzen ist dabei nach dem Förderungs-/Sachzusammenhang (BFH-Urteil vom 25.06.1996 VIII R 28/94, BStBl II 1997, 202, unter II.2.b). Eine Segmentierung ist hingegen nur bei völlig getrennt zu beurteilenden Tätigkeiten, z.B. Getränkeverkauf einer Tanzschule (BFH-Urteil vom 18.05.1995 IV R 31/94, BStBl II 1995, 718), vorzunehmen. Beim Erwerb und Halten von mehreren Geschäftsanteilen an einer GmbH, die mit identischen Gewinnbezugsrechten ausgestattet sind, ist von einer Beurteilungseinheit auszugehen, auch wenn die Anschaffungskosten voneinander abweichen. Weder die Tätigkeit – das Halten von Kapitalgesellschaftsanteilen – noch die erworbenen Anteile selbst unterscheiden sich derart, dass eine sog. Segmentierung erforderlich wäre.

dd) Schließlich spricht auch der neu eingefügte § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG n.F. – der der Missbrauchsbekämpfung dienen soll (BT-Drs. 356/19, Seite 123) – dafür, dass der Gesetzgeber von einer einheitlichen Überprüfung der Gewinnerzielungsabsicht bei § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. ausgegangen ist. Es hätte der Neuregelung nicht bedurft, wenn im Rahmen des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG die durch die ausschließliche Zuordnung des Aufgelds zu dem neu geschaffenen Anteil entstandenen Veräußerungsverluste durch eine steuerliche Nichtberücksichtigung aufgrund fehlender Gewinnerzielungsabsicht hätte begegnet werden können.

ee) Eine Übertragung der Rechtsprechung des BFH zur Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG, spricht – anders als das FA meint – nicht für eine Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht bei jedem einzelnen Geschäftsanteil. Der BFH trifft keine Aussage dazu, ob Anteile an einer Kapitalgesellschaft hinsichtlich des Vorliegens von Gewinnerzielungsabsicht einzeln zu würdigen sind oder nicht. Er hat bislang stets entschieden, dass die Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für jede einzelne Kapitalanlage (nicht aber für jeden Geschäftsanteil der Kapitalanlage) getrennt zu beurteilen ist (ständige Rechtsprechung; statt vieler z.B. BFH-Urteil vom 14.05.2014 VIII R 37/12, BFH/NV 2014, 1883, unter II.1.b aa m.w.N.).

ff) Schließlich führt auch der Umstand, dass Geschäftsanteile, die der Gesellschafter zu verschiedenen Zeitpunkten erworben hat, ihre rechtliche Selbständigkeit behalten (BFH-Urteil vom 20.04.2004 VIII R 52/02, BStBl II 2004, 556, unter 3.a m.w.N.) nicht dazu, dass die veräußerten Anteile einzeln auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht zu überprüfen sind. Die Auslegung des § 17 EStG ist nach steuerrechtlichen Aspekten vorzunehmen. Es gibt insoweit keine Maßgeblichkeit des Gesellschaftsrechts (Levedag in Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 41. Auflage 2022, § 17 Rn. 3). Nach der Rechtsprechung des BFH, spricht der Umstand, dass die einzelnen Geschäftsanteile ihre zivilrechtliche Selbständigkeit behalten, lediglich dafür, dass bei Ermittlung des Veräußerungsgewinns auf die konkreten Aufwendungen für den Erwerb der einzelnen Anteile – soweit diese ermittelbar sind – und nicht auf einen gemittelten Wert aus der Summe der Anschaffungskosten für sämtliche Anteile abzustellen ist (BFH-Urteil vom 20.04.2004 VIII R 52/02, BStBl II 2004, 556, unter 3.a und b m.w.N.). Dem ist jedoch nicht zu entnehmen, dass bei Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht auf den einzelnen Anteil abzustellen ist.

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, war die Anerkennung des von den Klägern geltend gemachten Veräußerungsverlustes nicht wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht hinsichtlich des Neuanteils zu versagen.

Der veräußerte Teil der Beteiligung, bestehend aus den veräußerten Altanteilen und dem Neuanteil, wurde von der Klägerin, die im Zeitpunkt der Veräußerung alle Geschäftsanteile an der GmbH hielt, mit der Absicht Gewinne zu erzielen erworben und gehalten.

aa) Objektiv bestand hinsichtlich der von der Klägerin gehaltenen und nunmehr veräußerten Anteile insgesamt eine positive Erfolgsprognose. Bei einer periodenübergreifenden Betrachtung ist unter Berücksichtigung der geplanten Immobilieninvestments – in Bezug auf die Altanteile zwischen den Beteiligten unstreitig – von der Erzielung eines Totalgewinns auszugehen. Aufgrund der einheitlichen Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht für die gesamte veräußerte Beteiligung, teilt der Neuanteil das Schicksal der Altanteile.

bb) Bei einer positiven objektiven Erfolgsprognose wird bei Einkünften nach § 17 EStG die Gewinnerzielungsabsicht regelmäßig vermutet (BFH-Urteil vom 04.11.1992 X R 33/90, BStBl II 1993, 292, unter 5.e; BFH-Urteil vom 29.06.1995 VIII R 68/93, BStBl II 1995, 722, unter II.1.b bb).Der geltend gemachte Veräußerungsverlust ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

aa) Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Veräußerungsgewinn i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Anschaffungskosten umfassen grundsätzlich alles, was der Erwerber aufgewendet hat, um das Wirtschaftsgut – vorliegend die Anteile – zu erlangen (BFH-Urteil 20.04.2004 vom VIII R 4/02, BStBl II 2004, 597; unter II.1.c bb zu § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG a.F.).

(1) Werden Anteile – wie vorliegend – durch Gründung einer Kapitalgesellschaft erworben, ist Anschaffungspreis die Einlageverpflichtung (Nennwert bei Bareinlage) (Levedag in Schmidt, EStG, 41. Auflage 2022, § 17 Rn. 173). Entsprechendes gilt für den Erwerb im Wege der Kapitalerhöhung (BFH-Urteil vom 02.10.1984 VIII R 36/83, BStBl II 1985, 320, unter 1.b).

(2) Darüber hinaus ist ein Aufgeld, das ein Erwerber neuer Geschäftsanteile aufgrund der getroffenen Einlagevereinbarung über den Nennbetrag der Einlage hinaus an eine Kapitalgesellschaft zu leisten hat und welches gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 des Handelsgesetzbuches in der Bilanz als Kapitalrücklage auszuweisen ist, Bestandteil der Gegenleistung, die der Erwerber aufbringen muss, um die Beteiligungsrechte zu erwerben. Es ist deshalb jenen Geschäftsanteilen als Anschaffungskosten zuzurechnen, für deren Erwerb es aufzubringen war (vgl. BFH-Urteil vom 27.05.2009 I R 53/08, BFH/NV 2010, 375, unter II.2.a).

Anders als das FA meint, handelt es sich bei dieser BFH-Rechtsprechung nicht um eine Einzelfallentscheidung. Die in dem Urteil vom BFH ausgeführten Grundsätze erfahren weder dem zugrundeliegenden Sachverhalt geschuldete Einschränkungen noch hat der BFH anderweitig zum Ausdruck gebracht, dass er seine Entscheidung nicht über den dort entschiedenen Fall hinaus gelten lassen wolle.

Auch die Einfügung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG n.F. vermag die Anwendbarkeit der BFH-Rechtsprechung im Streitjahr nicht aufzuheben. Entgegen der Ansicht des FA handelt es sich bei § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG n.F. nicht um eine rein deklaratorische – und damit auch bereits für das Streitjahr geltende -, sondern um eine konstitutive Regelung. Ungeachtet der Gesetzesbegründung, die die Regelung als deklaratorisch bezeichnet (BT-Drs. 356/19, Seite 123), konterkariert die Regelung die hier anzuwendende BFH-Rechtsprechung (Gosch in Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 21. Auflage 2022, § 17 Rn. 99d). Seiner Auffassung, die Neuregelung sei deshalb nur deklaratorisch, weil die gleichmäßige Verteilung eines Aufgelds auf alle Anteile der laufenden Verwaltungspraxis vor Einführung der Neuregelung entspreche, müsste sich das FA zudem entgegenhalten lassen, dass es im Streitfall selbst keine solche Aufteilung vorgenommen hat, sondern das Aufgeld – der Rechtsprechung des BFH folgend – ausschließlich dem Neuanteil zugeordnet hat.

bb) Gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG sind – unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens – 40 % des Veräußerungspreises i.S.d. § 17 Abs. 2 EStG steuerfrei. Daran anschließend dürfen gemäß § 3c Abs. 1 EStG Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden.

cc) Bei Anwendung dieser Regelungen, haben die Kläger zu Recht einen Veräußerungsverlust i.H.v. – 285.000 € geltend gemacht. Dieser ergab sich aus dem Abzug von 60 % der Anschaffungskosten i.H.v. 501.300 €, also 300.780 €, von 60 % des Veräußerungspreises i.H.v. 26.300 €, also 15.780 €. Die Anschaffungskosten für die 300 veräußerten Altanteile ergaben sich aus der Einlageverpflichtung i.H.v. 300 € (Nennwert je 1 €) bei Gründung. Die Anschaffungskosten für den Neuanteil setzten sich zusammen aus der Einlageverpflichtung i.H.v. 1.000 € (Nennwert 1.000 €) und dem in die Kapitalrücklagen eingezahlten Aufgeld i.H.v. 500.000 €.Schließlich liegt auch kein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 der Abgabenordnung (AO) vor.

Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt ein Missbrauch vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die gewählte rechtliche Gestaltung ist nicht unangemessen.

aa) Zwar enthält § 42 AO selbst keinen Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit. Jedoch sind die von der Rechtsprechung zu § 42 AO a.F. entwickelten Grundsätze auch für die mit dem Jahressteuergesetz 2008 (BGBl I 2007, 3150, 3171) ergänzte und gemäß Art. 97 § 7 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung für nach dem 31.12.2007 beginnende Kalenderjahre geltende Neufassung des § 42 AO übertragbar (Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 29.11.2017 4 K 127/15, EFG 2018, 486, unter II.3, bestätigt durch BFH-Urteil vom 17.11.2020 I R 2/18, BStBl II 2021, 580, unter 2.b). Darüber hinaus sind in den jüngsten Entscheidungen des BFH zum aktuellen § 42 AO keine neuen Auslegungsimpulse durch die Rechtsprechung erkennbar.

Eine rechtliche Gestaltung ist danach unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH-Urteil vom 18.12.2013 I R 25/12, BFH/NV 2014, 904 unter II.2.c aa m.w.N.). Allein das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung nicht unangemessen (BFH-Urteil vom 18.12.2013 I R 25/12, BFH/NV 2014, 904, unter II.2.c aa m.w.N.). Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden (statt vieler z.B. BFH-Urteil vom 17.11.2020 I R 2/18, BStBl II 2021, 580, unter 2.b aa m.w.N). Dient die Gestaltung hingegen wirtschaftlichen Zwecken, darf das Verhalten der Beteiligten nicht auf seine Angemessenheit beurteilt werden (BFH-Urteil vom 08.05.2003 IV R 54/01, BStBl II 2003, 854, unter 1.a m.w.N).

Auch wenn nach der Gesetzesbegründung die Unangemessenheit als wertender Begriff zu verstehen ist, der nicht mit dem empirischen Begriff der Ungewöhnlichkeit gleichgesetzt werden darf (BT-Drs. 16/7036, Seite 24), dürfen gleichwohl die von der Rechtsprechung zu § 42 AO a.F. entwickelten Indizien, wonach eine angemessene Gestaltung tendenziell eher einfach, zweckmäßig, übersichtlich und ökonomisch, eine unangemessene Gestaltung hingegen eher unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig erscheint, weiterhin herangezogen werden. Sie haben als umschreibende Begriffe Indizfunktion (Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 29.11.2017 4 K 127/15, EFG 2018, 486, unter II.3 m.w.N. aus der Literatur, bestätigt durch BFH-Urteil vom 17.11.2020 I R 2/18, BStBl II 2021, 580, unter 2.b).

bb) Die von der Klägerin gewählte rechtliche Gestaltung – Anteilserwerb durch Kapitalerhöhung unter Aufgeldzahlung – ist nicht unangemessen. Sie dient nicht ausschließlich dem Zweck der Steuerminderung, sondern der Ausstattung der GmbH mit Finanzmitteln, mithin einem wirtschaftlichen Zweck. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein verständiger Beteiligter die Gestaltung in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ebenfalls gewählt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 01.02.2001 IV R 3/00, BFH/NV 2001, 829, unter 2.b aa m.w.N.). Für den Alleingesellschafter einer GmbH macht es wirtschaftlich keinen Unterschied, ob er die Finanzmittel in Form eines Darlehens in die Gesellschaft gibt oder – wie vorliegend – als Aufgeld im Zuge einer Kapitalerhöhung in die Kapitalrücklagen oder aber als freiwillige Zahlung in die Kapitalrücklagen einzahlt. Das wirtschaftliche Ergebnis bleibt aus seiner Perspektive – unabhängig von den steuerlichen Auswirkungen – gleich.

cc) Auch im Vergleich zu den zuvor aufgezeigten anderen rechtlichen Gestaltungen, zur Ausstattung der Gesellschaft mit Finanzmitteln, erscheint die gewählte rechtliche Gestaltung nicht unangemessen. Die gewählte rechtliche Gestaltung ist weder gekünstelt noch umständlicher, wesentlich teurer, komplizierter oder weniger praktikabel im Vergleich zu den vom FA vorgeschlagenen Gestaltungen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, ob die Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen des § 17 EStG einheitlich für alle veräußerten Geschäftsanteile oder anhand jedes einzelnen Geschäftsanteils geprüft wird, ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Finanzgericht Düsseldorf , 13-K-1149/20-E

Urteil vom 21.06.2022

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