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Rechtsprechung

Bestimmung des Sitzes einer Handelsgesellschaft

Oberlandesgericht Hamm, 32-SA-19/19

Beschluss vom 24.04.2019

Bestimmung des Sitzes einer Handelsgesellschaft; Bindungswirkung einer Weiterverweisung

Leitsatz:

Eine Handelsgesellschaft hat ihren allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 Abs. 1 S. 1 ZPO) am durch die Satzung festgelegten und im Handelsregister verlautbarten Sitz. Unerheblich ist insoweit, ob die Gesellschaft am Ort ihres Sitzes noch einen Geschäftsbetrieb unterhält, so dass ihr ein Schriftstück zugestellt werden kann. Wird ein Rechtsstreit verbindlich an ein Gericht verwiesen, so kann ein Beschluss dieses Gerichts, mit dem es den Rechtsstreit an ein drittes Gericht weiterverweist unverbindlich sein, weil die zweite Verweisung die Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses außer Acht lässt.

Gründe:

I.

Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

Dem Rechtsstreit liegt – soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang – im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger mit (Wohn-)Sitz in S (Landgerichtsbezirk Düsseldorf) nimmt die Beklagte mit Sitz in X (Landgerichtsbezirk Aachen) auf Zahlung von 29.260,00 € zzgl. Nebenforderungen für Lieferung und Montage von Aufzügen aus diversen Bauvorhaben (u.a. in Münster, Nordkirchen, Dortmund, Grevenbroich und Düsseldorf) in Anspruch.

Der Kläger hatte die mit Schriftsatz vom 07.05.2018 erhobene Klage zunächst beim Landgericht Bochum eingereicht und als ladungsfähige Anschrift der Beklagten „I-Straße, C“ angegeben. Tatsächlich weist der Handelsregisterauszug als Sitz und Geschäftsanschrift der Beklagten mit Wirkung seit dem 21.06.2016 „T-Straße, X“ aus (HRB 20496, Amtsgericht Aachen).

Nachdem die Zustellung der Klageschrift unter der klägerseits angegebenen Anschrift I-Straße in C unter Verweis darauf, dass der „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ sei, gescheitert war, hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.07.2018 mitgeteilt, dass die Anschrift der Beklagten „nunmehr“ T-Straße, X laute, und zugleich die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Landgericht Aachen beantragt.

Mit Verfügung vom 24.07.2018 hat das Landgericht Bochum die Beklagte zu der beantragten Verweisung angehört. Die Zustellung der Verfügung scheiterte jedoch auch unter der Anschrift in X („Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“).

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 24.08.2018 hat der Kläger daraufhin um Zustellung der Klageschrift unter der Anschrift der Zweigniederlassung der Beklagten in K, O-Straße (Landgerichtsbezirk Mönchengladbach) sowie Verweisung an das „nunmehr zuständige Landgericht Mönchengladbach“ beantragt.

Nach unter der Anschrift in K erfolgter Zustellung hat die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.09.2018 mitgeteilt, dass sie mit der beabsichtigten Verweisung an das Landgericht Aachen einverstanden sei.

Daraufhin hat das Landgericht Bochum sich mit Beschluss vom 27.09.2018 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Aachen verwiesen.

Mit Verfügung vom 14.11.2018 hat das Landgericht Aachen seinerseits darauf hingewiesen, dass die erfolgte Verweisung problematisch und eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Aachen nicht gegeben sei, da die Klage in K, Landgerichtsbezirk Mönchengladbach zugestellt worden sei. Möglicherweise habe das Landgericht Bochum den (weiteren) Verweisungsantrag des Klägers an das Landgericht Mönchengladbach übersehen. Es werde deshalb eine Weiterverweisung erwogen. Beide Parteien haben sich daraufhin mit einer Weiterverweisung an das Landgericht Mönchengladbach einverstanden erklärt.

Mit Beschluss vom 29.11.2018 hat das Landgericht Aachen den Rechtsstreit sodann an das Landgericht Mönchengladbach weiterverwiesen unter Hinweis darauf, dass die Klage in K zugestellt worden sei.

Mit Verfügung vom 16.01.2019 hat das Landgericht Mönchengladbach darauf hingewiesen, dass es unzuständig, insbesondere an die Weiterverweisung durch das Landgericht Aachen nicht gebunden sei. Die Weiterverweisung sei nach dortiger Bewertung willkürlich gewesen, da das Landgericht Aachen gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO örtlich zuständig war bzw. sei. Die Verweisung durch das Landgericht Bochum sei dementsprechend für das Landgericht Aachen bindend gewesen. Es sei daher beabsichtigt, den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Hamm zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 ZPO vorzulegen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 23.01.2019 den Standpunkt vertreten, dass die (Weiter-)Verweisung des Landgerichts Aachen an das Landgericht Mönchengladbach nunmehr für dieses gemäß § 281 ZPO bindend sei.

Das Landgericht Mönchengladbach hat daraufhin dem Oberlandesgericht Hamm die Sache mit Beschluss vom 14.02.2019 zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 ZPO vorgelegt. Da der Handelsregisterauszug als Sitz der Beklagen X aufweise, sei das Landgericht Aachen gemäß § 17 ZPO zuständig, insbesondere an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bochum gebunden.

Der Senat hat die Parteien mit Verfügung vom 08.03.2019 angehört. Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 25.03.2019 die Weiterverweisung an das Landgericht Mönchengladbach verteidigt. Das Landgericht Mönchengladbach verkenne, dass sich der Firmensitz der Beklagten in K und nicht in X befinde, wie die (lediglich) dort erfolgreiche Zustellung belege. Die Beklagte hat sich im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nicht geäußert.

II.

Die Voraussetzungen einer Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

1.

Die Landgerichte Bochum, Aachen und Mönchengladbach haben sich sämtlich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Landgericht Bochum hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien durch den grundsätzlich gemäß § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren und den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 27.09.2018 an das Landgericht Aachen verwiesen. Dieses wiederum hat nach Anhörung der Parteien den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29.11.2018 an das Landgericht Mönchengladbach weiterverwiesen, welches wiederum – erneut nach Anhörung der Parteien – mit Beschluss vom 14.02.2019 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und das Verfahren dem Senat zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt hat.

2.

Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO auch zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das Landgericht Bochum als das zuerst mit der Sache befasste Gericht zum hiesigen Bezirk gehört.

3.

Das Landgericht Aachen ist an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bochum vom 27.09.2018 gebunden und dementsprechend als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.

Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend, da – im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen – im Interesse der Prozessökonomie das Verfahren verzögernde und verteuernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen. Eine Bindung an den Verweisungsbeschluss ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 9; BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, juris Rn 12; Senat, Beschluss vom 29.07.2011, 32 SA 57/11, juris Rn 19). Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss einen über einen einfachen Rechtsfehler hinausgehenden, schwerwiegenden Fehler aufweist, der unter Umständen begangen wurde, die den Verweisungsbeschluss in der Gesamtbetrachtung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 11 m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Landgericht Aachen an die Verweisung des Rechtsstreits durch das Landgericht Bochum gebunden. Das Landgericht Bochum hat den Rechtsstreit zu Recht an das Landgericht Aachen verwiesen.

Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO wird der allgemeine Gerichtsstand von Gesellschaften, die – wie die beklagte GmbH – als solche verklagt werden können, durch ihren satzungsmäßigen Sitz bestimmt. Bei den juristischen Personen des Privatrechts – zu denen die Beklagte gehört – ist die satzungsmäßige Festlegung des Sitzes und Registerpublizität vorgeschrieben (hier: gemäß § 10 GmbHG). Dieser ist deshalb in erster Linie maßgeblich für die Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstandes juristischer Personen (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 17 Rn 9 m.w.N.).

Ausweislich des dem Senat vorliegenden Handelsregisterauszuges (HRB 20496, Amtsgericht Aachen) hatte und hat die Beklagte ihren satzungsmäßigen Sitz seit dem 21.06.2016 – d.h. insbesondere schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem Landgericht Bochum – (eindeutig) in X, wo sich dementsprechend gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO auch ihr allgemeiner Gerichtsstand befindet. Folgerichtig und zutreffend hat das Landgericht Bochum den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien deshalb an das Landgericht Aachen verwiesen. Dass die Klage am Sitz der Gesellschaft bislang nicht zugestellt werden konnte, begründet entgegen der Annahme des Landgerichts Aachen keinen abweichenden allgemeinen Gerichtsstand i.S.d. § 17 ZPO, der – wie ausgeführt – (allein) auf den satzungsmäßig festgelegten und im Handelsregister veröffentlichten Sitz (hier: X) abstellt. Ob daneben möglicherweise der besondere Gerichtsstand der Niederlassung gemäß 21 ZPO begründet sein mag, steht der Bindungswirkung der Verweisung gemäß § 281 ZPO an das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes nicht entgegen, zumal die Voraussetzungen des § 21 ZPO (u.a.: Selbständigkeit der Niederlassung und Beziehung aller geltend gemachten Ansprüche zum Geschäftsbetrieb) zum Zeitpunkt der Verweisungsentscheidung des Landgerichts Bochum durch den Kläger nicht dargelegt waren. Auch ist dem Schriftsatz des Klägers vom 24.08.2018 nicht zu entnehmen, dass der mit Schriftsatz vom 18.07.2018 (zutreffend) gestellte Verweisungsantrag an das Landgericht Aachen nicht (insbesondere nicht hilfsweise) aufrecht erhalten bleiben sollte.

Für den Senat ist mit Blick auf die klare Regelung in § 17 ZPO auch nicht erkennbar, dass das Landgericht Bochum den Rechtsstreit nur versehentlich an das Landgericht Aachen verwiesen hätte, wie dieses meint.

Als zuständig ist dasjenige Gericht zu bestimmen ist, an das die Sache durch den ersten bindenden Verweisungsbeschluss gelangt ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21.08.1998, 1Z AR 58/98, NJW-RR 1999, 1294; Schulzky in Zöller, ZPO 32. Aufl, § 36 Rn 38). Entgegen der Annahme des Klägers wird die Verbindlichkeit der ersten Verweisung auch nicht durch den weiteren Verweisungsbeschluss des Landgerichts Aachen an das Landgericht Mönchengladbach aufgehoben. Letzterem fehlt die Bindungswirkung, weil er die des ersten Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Bochum außer Acht lässt.

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