Abzug nachlaufender Schuldzinsen als Werbungskosten; Veranlassungszusammenhang mit Einkünften; Keine Notwendigkeit einer „wirtschaftlich unsinnigen“ Schuldentilgung; Vermeidung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach Veräußerung eines durch Darlehen finanzierten Vermietungsobjektes; Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht bei Erwerb einer Kapitalanlage mit dem Ziel der Vermeidung einer Vorfälligkeitsentschädigung aus einem Darlehen
Orientierungssatz
- Der Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung gilt so lange nicht, als der Schuldentilgung entweder Auszahlungshindernisse hinsichtlich des Veräußerungserlöses oder aber Rückzahlungshindernisse entgegenstehen. Ebenso verpflichtet der genannte Grundsatz den Steuerpflichtigen nicht, sich (aus rein steuerlich motivierten Gründen) nachteilig und „wirtschaftlich unsinnig“ zu verhalten(Rn.33).
- Das Gebot der vorrangigen Schuldentilgung findet nur dann Anwendung, wenn der Steuerpflichtige den Veräußerungserlös nicht für den Erwerb einer anderen Einkunftsquelle einsetzt(Rn.34).
- Setzt der Steuerpflichtige den Veräußerungserlös für den Erwerb einer anderen Einkunftsquelle ein, stellt er ab diesem Zeitpunkt einen Veranlassungszusammenhang der neuen Einkunftsquelle zur ursprünglichen Darlehensverbindlichkeit und den hieraus herrührenden Schuldzinsen her. Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige mit dem Veräußerungserlös bereits im Bestand befindliche andere Einkunftsquellen entschuldet(Rn.34).
- Wird zur (wirtschaftlich vernünftigen) Vermeidung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach Veräußerung eines mit einem Darlehen finanzierten Vermietungsobjektes eine Anlageentscheidung getroffen, durch welche der Veranlassungszusammenhang zum ursprünglichen Einkünftetatbestand „Vermietung und Verpachtung“ aufgelöst wird, können die nachlaufenden Schuldzinsen keine nachträglichen Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sein(Rn.36).
- Da im Streitfall mit den Geldern aus dem zur Finanzierung des veräußerten Objektes genutzten Darlehen zu Einkünften führende Anlagen erworben wurden, braucht nicht entschieden werden, ob die Nichtbeachtung des Grundsatzes des Vorrangs der Schuldentilgung im Streitfall im Hinblick auf die Vermeidung einer Vorfälligkeitsentschädigung aufgrund wirtschaftlich vernünftiger Motive ausnahmsweise unbeachtlich ist, die Vorfälligkeitsentschädigung somit ein tatsächliches (wirtschaftliches) Tilgungshindernis darstellt(Rn.34).
- Im Streitfall wurden mit dem Veräußerungserlös private Kapitalanlagen erworben. Der Einkünftetatbestand „Kapitalvermögen“ wurde mangels Einkünfteerzielungsabsicht nicht verwirklicht (Streitjahr 2008; Zinserträge waren planbar geringer als die Schuldzinsen). Bei der Beurteilung, ob der Steuerpflichtige die Kapitalanlage mit Einkünfteerzielungsabsicht erwarb, ist die von ihm vermiedene Vorfälligkeitsentschädigung nicht als Rechnungsposten einzubeziehen. Obwohl sie Bestandteil der Wirtschaftlichkeitsberechnung des Steuerpflichtigen war, hat sie keine Einkünfterelevanz(Rn.38)(Rn.41).
Tatbestand
1
Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Schuldzinsen nach der Veräußerung einer Immobilie.
2
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2008 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen sowie – aus einer erheblichen Anzahl von Objekten – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Er war zudem Gesellschafter-Geschäftsführer der inzwischen insolventen A. M. GmbH, ebenso Gesellschafter der A. GbR. Zwischen den Gesellschaften bestand eine Betriebsaufspaltung.
3
Im Jahr 2007 veräußerte der Kläger zwei in B-Stadt und C-Stadt belegene Immobilien, die an zwei Supermarkt-Ketten vermietet waren. Hierdurch erzielte er nach §§ 22, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtige Veräußerungsgewinne in Höhe von insgesamt 923.640,00 €, wobei auf die Immobilie in C-Stadt ein solcher in Höhe von 420.160,00 € entfiel. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten für die beiden Gewerbeimmobilien waren voll fremdfinanziert. Den Erlös aus der Veräußerung des B-Stadter Supermarkts in Höhe von 2.701.440,00 € reinvestierte der Kläger in weitem Umfang (88,84%) in eine Kapitalanlage. Insoweit ist unstreitig, dass die Zinsen aus den nicht abgelösten Anschaffungsverbindlichkeiten in Höhe der Wiederanlagequote im Streitjahr als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sind.
4
Die Erwerbskosten für den in C-Stadt belegenen Supermarkt finanzierte der Kläger mit drei in den Jahren 2004/2005 abgeschlossenen Darlehen bei der Sparkasse D-Stadt sowie – anteilig (12,78%) – einem Darlehen bei der Landesbank E-Land. Die Valuten betrugen ursprünglich:
5
Sparkasse D-Stadt yyy1 xxx €
Sparkasse D-Stadt yyy2 xxx €
Sparkasse D-Stadt yyy3 xxx €
Landesbank E-Land yyy4 (xxx €; 12,78%) xxx €
6
Auf die jeweiligen Darlehensverträge wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
7
Zum Zeitpunkt der Veräußerung valutierten die Darlehen wie folgt:
8
Sparkasse D-Stadt yyy1 xxx €
Sparkasse D-Stadt yyy2 xxx €
Sparkasse D-Stadt yyy3 xxx €
Landesbank E-Land yyy4 (12,78%) xxx €
Summe xxx €
9
Der Erlös aus der Veräußerung des C-Stadter Supermarkts floss dem Kläger in zwei Teilzahlungen in Höhe von insgesamt 2.343.600,00 € am 18.9.2007 zu. Der Kläger entschied, den Erlös nicht zur Tilgung der vorgenannten Anschaffungskredite zu verwenden, da aufgrund der noch längerfristigen Zinsbindung Vorfälligkeitsentgelte in einer Größenordnung zwischen 150.000,00 € und 180.000,00 € zu zahlen gewesen wären. Stattdessen setzte der Kläger den Veräußerungserlös wie folgt ein:
10
1. Am 26.9.2007 zahlte er 1.000.000,00 € auf ein Festgeldkonto bei der Sparkasse D-Stadt ein. Dieses Festgeld hielt er bis zum 22.1.2008, um es dann auf ein Depot bei der F-Bank zu transferieren und am 9.10.2008 auf ein sog. Zinskonto an die Sparkasse D-Stadt weiterzuleiten.
2. Weitere 500.000,00 € zahlte der Kläger am 19.12.2007 auf sein Depot bei der F-Bank. Das Kapital wurde am 9.10.2008 auf das vorgenannte Zinskonto an die Sparkasse D-Stadt weitergeleitet.
3. Einen Betrag von 211.610,52 € zahlte der Kläger am 1.10.2007 auf ein Geldmarktkonto bei der G-Bank ein.
4. In Höhe von 111.028,12 € tilgte der Kläger am 31.10.2007 private Verbindlichkeiten bei der Sparkasse D-Stadt.
5. Ein weiterer Betrag von 458.600,00 € diente der Ablösung der Vorfinanzierung eines Gesellschafterdarlehens des Klägers an die A. M. GmbH über 500.000,00 € (Juli 2007) durch die Sparkasse D-Stadt.
11
Im September 2009 lief die Zinsbindungsfrist für das obengenannte Darlehen yyy3 bei der Sparkasse D-Stadt ab. Im November 2009 galt Gleiches für fünf weitere, der Anschaffung von (weiteren) vermieteten Immobilien dienenden Darlehen. Der Kläger nutzte die auf dem sog. Zinskonto aufgelaufenen Guthaben zur Ablösung jener Darlehen (1.639.347,41 €). Zudem löste er ebenfalls im November 2009 die auf dem sog. Mietkonto bei der Sparkasse D-Stadt entstandene Kontokorrentschuld in Höhe von 72.999,20 € ab.
12
Die Erträge aus den Kapitalanlagen bei der Sparkasse D-Stadt, der F-Bank sowie der G-Bank betrugen im Jahr 2008 insgesamt 23.101,10 € und wurden vom Kläger als Einnahmen aus Kapitalvermögen erklärt. Für das Jahr 2007 betrugen die Kapitalerträge aus der Anlage des Veräußerungserlöses 8.470,43 €, für das Jahr 2009 16.511,84 €. Die Erträge aus dem Gesellschafterdarlehen an die A. M. GmbH beliefen sich im Jahr 2008 auf 39.996,00 € und wurden im Rahmen der Gewinnfeststellung für die A. GbR (Besitzunternehmen) als gewerbliche Einkünfte – Sonderbetriebseinnahmen – des Klägers erfasst.
13
Hinsichtlich derjenigen Darlehen, die ursprünglich der Finanzierung der Erwerbskosten der Gewerbeimmobilie in C-Stadt gedient hatten, fielen im Jahr 2008 Schuldzinsen in Höhe von insgesamt 87.723,52 € an, die der Kläger als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend machte (2007: 35.638,16 €; 2009: 67.339,49 €). Die erklärten negativen Einkünfte hieraus betrugen für das Streitjahr 2008 96.393,17 € (nachlaufende Einnahmen: 13.566,00 €).
14
Nachdem der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2008 zunächst geschätzt und der Kläger im Einspruchsverfahren die Einkommensteuererklärung eingereicht hatte, erkannte der Beklagte weder in den Teilabhilfebescheiden vom 10.11.2010 und 04.01.2012 noch in der Einspruchsentscheidung vom 11.12.2012 die auf die ursprüngliche Finanzierung der Erwerbskosten der Gewerbeimmobilie in C-Stadt entfallenden Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an. Zur Begründung führte er an, der Veräußerungserlös sei nicht zur Schuldentilgung eingesetzt worden. Soweit der Kläger mit dem Erlös Kapitalanlagen erworben habe, könnten die Schuldzinsen nicht im Wege einer Surrogationsbetrachtung als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden, da insoweit die Kosten (Schuldzinsen) höher wären als die Erträge und es daher an der erforderlichen Einkünfteerzielungsabsicht fehle; aus diesem Grund seien auch die erklärten Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 23.101,10 € nicht in Ansatz zu bringen. Soweit der Kläger den Veräußerungserlös der A. M. GmbH als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt hat, seien die hiermit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen als Sonderbetriebsausgaben und daher im Rahmen der Gewinnfeststellung bei der A. GbR zu berücksichtigen. Die negativen (nachträglichen) Einkünfte aus der C-Stadter Gewerbeimmobilie erfasste der Beklagte in der Einspruchsentscheidung mit 22.190,00 €; hierbei blieben – offensichtlich aufgrund eines Irrtums – die nachträglichen Einnahmen in Höhe von 13.566,00 € außer Ansatz.
15
Mit seiner Klage vertritt der Kläger weiter die Ansicht, dass die Schuldzinsen in Höhe von 87.723,52 € bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als nachträgliche Werbungskosten zu berücksichtigen seien. Hierzu trägt er vor:
16
Nachlaufende Schuldzinsen seien grundsätzlich als Werbungskosten anzuerkennen. Das Erfordernis einer vorrangigen Schuldentilgung finde keine Anwendung, wenn der Tilgung der Darlehen – wie im Streitfall – ein wirtschaftliches Hindernis entgegenstehe. Er, der Kläger, hätte wirtschaftlich unvernünftig gehandelt, wenn er in Anbetracht der hohen Vorfälligkeitsentgelte bereits im Veräußerungsjahr (2007) die Darlehen zurückgeführt hätte. Sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang mit der Veräußerung der Supermarkt-Immobilien sei davon geprägt gewesen, die höchstmöglichen steuerlichen Einkünfte zu erzielen bzw. den nach der Veräußerung anfallenden Aufwand möglichst gering zu halten. Hätte er (wirtschaftlich unvernünftig) die Vorfälligkeitsentgelte in Kauf genommen, wäre der nach §§ 22, 23 EStG zu besteuernde Gewinn entsprechend geringer ausgefallen. Zudem sei der Veräußerungserlös nur vorübergehend für den Erwerb einer Kapitalanlage genutzt worden. Keinesfalls sei die (vorübergehende) Nichtablösung der Anschaffungsdarlehen privat motiviert gewesen.
17
Die Schuldzinsen seien nicht zum Zwecke der Erzielung von Kapitalerträgen in Kauf genommen worden. Es sei ihm, dem Kläger, von vornherein klar gewesen, dass die erzielbaren Einkünfte aus Kapitalvermögen wesentlich geringer als die im gleichen Zeitraum anfallenden nachträglichen Schuldzinsen sein würden. Zwar sei es wirtschaftlich vernünftig gewesen, in dem Übergangszeitraum bis zur Tilgung der Verbindlichkeiten den Erlös einer verzinslichen Geldanlage zuzuweisen. Hieraus dürfe jedoch nicht geschlussfolgert werden, die Schuldzinsen hätten der Erzielung von Kapitalerträgen gedient. Ziel sei ausschließlich gewesen, die Vorfälligkeitsentschädigung zu vermeiden.
18
Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2008, zuletzt in der Fassung des Einkommensteuerbescheids vom 16.2.2016, dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung weitere Werbungskosten in Höhe von 87.723,00 € berücksichtigt werden.
19
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
20
Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass Vorfälligkeitsentgelte kein rechtliches Rückzahlungshindernis darstellten, so dass der Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung zu beachten sei. Die BFH-Entscheidung vom 16.9.2015 (IX R 40/14) betone diesen Grundsatz nochmals. Der Kläger wäre wirtschaftlich in der Lage gewesen, mit dem Veräußerungserlös die Darlehen zuzüglich der Vorfälligkeitsentschädigung abzulösen. Zwar seien die wirtschaftlichen Erwägungen des Klägers nachvollziehbar. Allerdings könne es nicht im (steuerlichen) Belieben eines Steuerpflichtigen stehen, im Fall der Veräußerung einer Immobilie die durch die Vermietungseinkünfte veranlassten Verbindlichkeiten zu tilgen. Bei Beendigung einer Einkünftetätigkeit müsse die Schuldentilgung Vorrang vor einer privaten oder wirtschaftlichen Bedürfnisbefriedigung haben.
21
Wenn der Kläger – ggf. auch nur vorübergehend – den Veräußerungserlös (zwecks Vermeidung eines Vorfälligkeitsentgelts) in eine Kapitalanlage investiere, werde der Veranlassungszusammenhang zwischen den fortlaufenden Schuldzinsen und den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung durchbrochen. Aufgrund der Surrogationsbetrachtung sei dann der Kostenabzug bei der anderen (neuen) Einkunftsart – hier den Einkünften aus Kapitalvermögen – zu prüfen. Insoweit sei allerdings zum einen zu berücksichtigen, dass im Streitjahr ca. 26% des Erlöses nicht zur Erzielung von privaten Einkünften aus Kapitalvermögen eingesetzt worden seien, da auch ein privates Darlehen in Höhe von 111.028,00 € getilgt und zudem der A. GbR ein dem Sonderbetriebsvermögen des Klägers zuzurechnendes Darlehen von 500.000,00 € gewährt worden sei. Zum anderen zeige die Gegenüberstellung der verbleibenden Schuldzinsen (ca. 74% für das Streitjahr 2008), dass ein Überschuss der Zinserträge über die (nachträglichen) Schuldzinsen nicht habe erwirtschaftet werden können, so dass die erforderliche Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus § 20 EStG gefehlt habe.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die den Streitfall betreffenden Verwaltungsvorgänge.
23
Die vorherige Berichterstatterin hat am 24.6.2015 den Sach- und Streitstand erörtert.
24
Der Beklagte hat während des Klageverfahrens am 10.12.2013, 17.3.2014, 7.5.2014, 1.12.2014 sowie 16.2.2016 geänderte Einkommensteuerbescheide erlassen, die zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind (§ 68 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).
25
Der Senat hat in dieser Sache am 15.1.2016 mündlich verhandelt und sich anschließend vertagt. In der mündlichen Verhandlung haben sich die Beteiligten im Hinblick darauf, dass die Höhe einer Vorfälligkeitsentschädigung zum Zeitpunkt der Veräußerung der Immobilie im Jahr 2007 nicht mehr sicher bestimmbar war, dahingehend tatsächlich verständigt, dass von einer Entschädigung von 170.000,00 € auszugehen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.1.2016 verwiesen.
26
Im Nachgang zum Vertagungsbeschluss des Senats vom 15.1.2016 haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
27
Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 FGO), ist unbegründet.
28
Die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2008 in der Fassung des letzten Änderungsbescheids vom 16.2.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die streitigen Schuldzinsen in Höhe von 87.723,52 € sind weder bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung noch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen.
29
1. Der Senat hat über die geänderte Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2008 vom 16.2.2016 zu befinden. Mit jenem Änderungsbescheid hat der Beklagte – verfahrensrechtlich nach § 164 Abs. 2 AO zulässig – die bislang (versehentlich) nicht erfassten nachträglichen Einnahmen in Höhe von 13.566,00 € aus der Gewerbeimmobilie in C-Stadt bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erfasst. Diese Einnahmen wurden ausweislich der Anlage V für das Objekt H-Straße in C-Stadt vom Kläger selbst erklärt, blieben bislang – offenbar aufgrund eines Übertragungs- bzw. Additionsfehlers des Beklagten – aber ohne Ansatz. Der Kläger hat keine Einwendungen vorgebracht, weshalb jene Einnahmen nicht einkünfteerhöhend in Ansatz zu bringen sind.
30
2. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Schuldzinsen der Darlehen, die der Finanzierung der Erwerbskosten des C-Stadter Supermarkts dienten, im Streitjahr 2008 nicht als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.
31
a. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Hierzu zählen auch Schuldzinsen, soweit diese mit einer Einkunftsart im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG).
32
Ein wirtschaftlicher Zusammenhang von Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist gegeben, sofern ein objektiver Zusammenhang dieser Aufwendungen mit der Überlassung eines Vermietungsobjekts zur Nutzung besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung dieser Nutzungsüberlassung gemacht werden. Mit der erstmaligen Verwendung eines Darlehens zur Anschaffung/Herstellung eines Vermietungsobjekts wird die maßgebliche Verbindlichkeit diesem Verwendungszweck unterstellt. Derartige Schuldzinsen können auch nach einer Veräußerung der Immobilie (einerlei ob nach §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbar oder nicht) grundsätzlich weiter steuerlich berücksichtigt werden. Ob dies der Fall ist, hängt allerdings davon ab, wie der Veräußerungserlös verwendet wird. Setzt der Steuerpflichtige den Veräußerungserlös für die Anschaffung bzw. Herstellung einer neuen Einkunftsquelle ein, besteht der wirtschaftliche Zusammenhang an eben jener Einkunftsquelle – quasi als Surrogat – fort; die Schuldzinsen aus dem nicht abgelösten Darlehen können grundsätzlich als Werbungskosten/Betriebsausgaben bei der neu erworbenen Einkunftsquelle in Abzug gebracht werden (BFH-Urteil vom 8.4.2014 IX R 45/13, BStBl II 2015, 635).
33
Erwirbt der Steuerpflichtige dagegen kein „Ersatzwirtschaftsgut“, steht der Abzug der nachlaufenden Schuldzinsen grundsätzlich unter dem Vorbehalt der vorrangigen Schuldentilgung; denn ein Veranlassungszusammenhang von nachträglichen Schuldzinsen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung besteht insoweit nicht mehr, als die Zinsen auf Verbindlichkeiten entfallen, die durch den Erlös aus der Veräußerung des Immobilienobjektes hätten getilgt werden können (vgl. erstmals BFH-Urteil vom 20.6.2012 IX R 67/10, BStBl II 2013, 275 sowie zuletzt BFH-Urteil vom 16.9.2015 IX R 40/14, BStBl II 2016, 78 m.w.N.; ebenso BMF-Schreiben vom 27.7.2015, BStBl I 2015, 581, unter Ziff. 1.). Der Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung gilt jedoch so lange nicht, als der Schuldentilgung entweder Auszahlungshindernisse hinsichtlich des Veräußerungserlöses oder aber Rückzahlungshindernisse entgegenstehen (vgl. hierzu auch BMF-Schreiben vom 27.7.2015, BStBl I 2015, 581, unter Ziff. 1.1). Ebenso verpflichtet der genannte Grundsatz den Steuerpflichtigen nicht, sich (aus rein steuerlich motivierten Gründen) nachteilig und „wirtschaftlich unsinnig“ zu verhalten (vgl. hierzu jüngst BFH-Urteil vom 16.9.2015 IX R 40/14, BStBl II 2016, 78).
34
b. Nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze, denen der Senat folgt, braucht nicht darüber befunden werden, ob die Nichtbeachtung des Grundsatzes des Vorrangs der Schuldentilgung durch den Kläger im Hinblick auf die Vermeidung einer Vorfälligkeitsentschädigung aufgrund wirtschaftlich vernünftiger Motive ausnahmsweise unbeachtlich ist, die Vorfälligkeitsentschädigung somit ein tatsächliches (wirtschaftliches) Tilgungshindernis darstellt. Denn das Gebot der vorrangigen Schuldentilgung findet nur dann Anwendung, wenn der Steuerpflichtige den Veräußerungserlös nicht für den Erwerb einer anderen Einkunftsquelle einsetzt. Ist dies dagegen der Fall, stellt er ab diesem Zeitpunkt einen Veranlassungszusammenhang der neuen Einkunftsquelle zur ursprünglichen Darlehensverbindlichkeit und den hieraus herrührenden – fortlaufenden – Schuldzinsen her. Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige mit dem Veräußerungserlös zwar keine neue Einkunftsquelle erwirbt, aber bereits im Bestand befindliche andere Einkunftsquellen mit dem Veräußerungserlös entschuldet. Aufgrund der insoweit geltenden Surrogationsbetrachtung (vgl. BFH-Urteil vom 8.4.2014 IX R 45/13, BStBl II 2015, 635) ist entscheidend, in welchem Umfang das Surrogat, nämlich der Veräußerungserlös, zum Erwerb einer neuen Einkunftsquelle eingesetzt wird bzw. in welcher Höhe der Erlös für die Entschuldung einer bereits bestehenden Einkunftsquelle verwandt wird.
35
Im Streitfall setzte der Kläger beginnend ab Herbst 2007 – und ebenso im Streitjahr 2008 – den Veräußerungserlös von 2.343.600,00 € im Wesentlichen zum Erwerb mehrerer privater Kapitalanlagen bei der Sparkasse D-Stadt, der F-Bank und der G-Bank ein; die Erwerbskosten betrugen insgesamt 1.711.610,52 €. Insoweit durchbrach er durch seine Anlageentscheidung den Veranlassungszusammenhang zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Gleiches gilt, soweit der Kläger den Veräußerungserlös zur Ablösung der Vorfinanzierung eines Gesellschafterdarlehens an die A. M. GmbH (458.600,00 €) verwandte. Soweit der Kläger darüber hinaus den Erlös zur Tilgung privater Verbindlichkeiten nutzte (111.028,10 €), kommt ein fortlaufender steuerlicher Abzug der Schuldzinsen aufgrund der rein privat motivierten Verwendung ebenfalls nicht in Betracht.
36
Der Einwand des Klägers, er habe sich in Anbetracht der Vermeidung der Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 170.000 € wirtschaftlich alternativlos verhalten, wird vom Senat bei ökonomischer Betrachtung uneingeschränkt geteilt. Er ändert aber nichts an dem Umstand, dass durch die vom Kläger gewählte Anlageentscheidung – jedenfalls für den Zeitraum von Herbst 2007 bis Herbst 2009 – der Veranlassungszusammenhang zum ursprünglichen Einkünftetatbestand „Vermietung und Verpachtung“ aufgelöst wurde. Besteht dieser Zusammenhang nicht fort, können die streitigen Schuldzinsen keine nachträglichen Werbungskosten i.S. von § 24 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung darstellen.
37
c. Soweit der Kläger den Veräußerungserlös für den Erwerb der privaten Kapitalanlagen eingesetzt hat, wären die streitigen Schuldzinsen im Jahr 2008 zwar grundsätzlich als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG möglich.
38
Im Streitfall scheidet ein Werbungskostenabzug aber deshalb aus, da insoweit der Einkünftetatbestand „Kapitalvermögen“ (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 EStG) mangels Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers nicht verwirklicht wurde. Wie bei allen Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes, ist auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erforderlich, dass der Steuerpflichtige beabsichtigt, aus der Nutzung des Wirtschaftsguts – Kapitalanlage – einen positiven Totalüberschuss zu erzielen. Jedenfalls für Besteuerungszeiträume vor Einführung der grundsätzlichen Steuerpflicht von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. von § 20 Abs. 2 EStG (d.h. bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008) legte die Rechtsprechung einen strengen Maßstab an die Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen an, da neben der Absicht, laufende – steuerpflichtige – Erträge aus der Quelle zu erzielen, auch die Absicht, steuerfreie Wertsteigerungen zu realisieren, mit einhergehen konnte (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 14.5.2014 VIII R 37/12, BFH/NV 2014, 1883 m.w.N.). Für die Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht ist nicht auf die Gesamtheit der Kapitalanlagen des Steuerpflichtigen, sondern auf jeden einzelnen Anlagegegenstand abzustellen (BFH-Urteil vom 27.6.1989 VIII R 30/88, BStBl II 1989, 934).
39
Sowohl aufgrund der von vornherein nur befristet angedachten Kapitalanlage – Motiv des Klägers war die erstmals im Jahr 2009 entschädigungslos mögliche Ablösung von Darlehensverbindlichkeiten – als auch des dem Kläger bekannten Gefälles zwischen den erzielbaren Erträgen aus der Anlage und der Höhe der Schuldzinsen war es schlicht unmöglich, einen Überschuss der Einnahmen über die Aufwendungen (Schuldzinsen) zu erzielen, so dass keine positive Einkünfteerzielungsabsicht bestand. Er selbst trägt vor, es sei ihm von vornherein klar gewesen, dass die erzielbaren Kapitalerträge nicht ausreichen würden, um die streitigen Schuldzinsen zu decken. Geht man von einer Wiederanlagequote von 73,03% (1.711.610,52 €/2.343.600,00 €) aus, ergibt sich eine Unterdeckung von mehr als 90.000,00 €:
40
2007 2008 2009
Erträge 8.740,43 € 23.101,10 € 16.511,84 €
Schuldzinsen (100%) 35.638,16 € 87.723,52 € 67.339,49 €
Schuldzinsen (73,03%) 26.026,55 € 64.064,49 € 49.178,03 €
Negativüberschuss 17.286,12 € 40.963,39 € 32.666,19 €
Summe 90.915,70 €
41
Bei der Beurteilung, ob der Kläger die Kapitalanlage mit Einkünfteerzielungsabsicht erwarb, ist die von ihm vermiedene Vorfälligkeitsentschädigung nicht als Rechnungsposten einzubeziehen. Sie ist zwar – ökonomisch nachvollziehbar – Bestandteil der Wirtschaftlichkeitsberechnung des Klägers, hat aber keine Einkünfterelevanz. Hierbei verkennt der Senat nicht, dass eine gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung im Falle einer nach §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbaren Veräußerung den Veräußerungsgewinn mindert (vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 27.7.2015, BStBl I 2015, 581, unter Ziff. 2.). Allerdings hat der Kläger im Streitfall die in Aussicht gestellte Vorfälligkeitsentschädigung gerade nicht gezahlt. Vielmehr galt es, sie zu vermeiden. Insoweit handelte es sich um einen virtuellen – sich über die Zeit abbauenden – Vermögensschaden, der bei der Prognose der Einkünfteerzielungsabsicht außen vor zu bleiben hat.
42
Fehlt es somit an einer Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, ist die Entscheidung des Beklagten, die tatsächlich erzielten Einnahmen aus der Kapitalanlage in Höhe von 23.101,10 € nicht zu besteuern, folgerichtig.
43
Nur rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die streitigen Schuldzinsen insoweit steuerlich zu berücksichtigen wären, als sie der Finanzierung des Gesellschafterdarlehens gegenüber der A. M. GmbH dienten. Infolge der zwischen der A. GbR und der A. M. GmbH bestehenden Betriebsaufspaltung handelte es sich bei den dem Kläger zustehenden Zinserträgen aus dem Gesellschafterdarlehen um Sondervergütungen i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG, so dass die vorliegend streitigen Schuldzinsen jedenfalls anteilig durch die Gewährung des Gesellschafterdarlehens veranlasst waren und daher im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung insoweit als Sonderbetriebsausgaben zu erfassen wären.
44
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
45
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.