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Steuerrecht

Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen

Orientierungssatz:

Die Höhe der Säumniszuschläge begegnet jedenfalls für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2018 keinen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit mit der Norm des § 240 AO auch Zinsvorteile des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden sollen.

Tatbestand:

I.

Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer des Monats August 2018.

Der Antragsgegner erließ am 10.03.2020 einen (geänderten) Abrechnungsbescheid, in dem er entstandene Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer August 2018 in Höhe von insgesamt 237,50 € auswies (angefallene Säumniszuschläge vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 auf Umsatzsteuer betreffend August 2018). Die im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Forderungen sind durch Aufrechnung vollständig erloschen.

Der Antragsteller wandte sich am 17.03.2020 mittels Einspruch gegen den geänderten Abrechnungsbescheid und begehrte die Aufhebung der Vollziehung des Abrechnungsbescheides, soweit darin Säumniszuschläge höher als 118,75 € ausgewiesen sind. Zur Begründung führte er aus, dass dem Säumniszuschlag von 1% ein Zinsanteil von 0,5%, also der Hälfte, innewohne und dass Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe dieses Zinsanteils bestünden.

Der Antragsgegner lehnte sowohl den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung mit Schreiben vom 24.03.2020 als auch den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.06.2020 ab.

Der Antragsteller hat am 21.07.2020 Klage unter dem Az. 12 K 2067/20 AO erhoben, über die der Senat noch nicht entschieden hat.

Mit Beschluss vom 29.05.2020 hat der Senat einen an das Gericht gestellten Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Vollziehung vom 24.03.2020 abgelehnt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hin hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 26.05.2021 (Az.: VII B 13/21 (AdV)) den Beschluss des Senats vom 29.05.2020 aufgehoben und die Vollziehung des Abrechnungsbescheides vom 10.03.2020 in Höhe der hälftigen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 bezogen auf den Zeitraum vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 – mithin in Höhe von X € – rückwirkend ab Fälligkeit aufgehoben.

Zur Begründung hat der BFH unter anderem ausgeführt, dass nicht nur gegen die Höhe der in § 233a der Abgabenordnung (AO) und in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO normierten Zinssätze ab dem Jahr 2012 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, die eine Aussetzung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geboten erscheinen lassen, sondern, dass auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestünden. Dies gelte jedenfalls insoweit, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukomme, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion. Ob und inwieweit der weitere Zweck, den Verwaltungsaufwand auszugleichen, hier ebenfalls zu berücksichtigen sei, sei bislang noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 14.09.2021 beantragt der Antragsgegner eine Änderung des Beschlusses vom 26.05.2021 gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO. Zur Begründung führt er an, dass sich nach Ergehen des Aussetzungsbeschlusses am 26.05.2021 durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) neue Umstände im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ergeben hätten. In diesen Entscheidungen habe das BVerfG die die Vollverzinsung umfassenden Regelungen des § 233a AO i. V. m. § 238 AO lediglich für einen Verzinsungszeitraum ab dem 01.01.2019 für verfassungswidrig und unanwendbar erklärt. Die hier streitigen Säumniszuschläge beträfen aber Zeiträume vor dem 01.01.2019.

Der Antragsteller trägt vor, dass das Finanzgericht für den Änderungsantrag nicht zuständig sei (vgl. BFH-Beschluss vom 15.09.2010 I B 27/10, BStBl II 2010, 935). Allenfalls sei nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts Münster der 5. Senat zuständig. Außerdem verstoße § 240 AO gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BFH, EuGH-Vorlage vom 08.06.2021- VII R 44/19, juris).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 12 K 2067/20 AO und 12 V 901/20 AO und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

Gründe:

II.

Der zulässige Antrag auf Änderung des Beschlusses ist begründet.

Gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht der Hauptsache.

1. Der Senat ist als Gericht der Hauptsache für eine Entscheidung nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zuständig, da die Hauptsache beim Senat unter dem Aktenzeichen 12 K 2067/20 AO anhängig ist. Die von dem Antragsteller angeführte Rechtsprechung des BFH (Beschluss vom 15.09.2010, I B 27/10) ist nicht einschlägig, da sie den hier nicht vorliegenden Fall der Änderung eines Aussetzungsbeschlusses von Amts wegen nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO betrifft. Der BFH nimmt darin ausdrücklich Bezug auf die Differenzierung zwischen einer Änderung nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO und einer Änderung nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO. Darüber hinaus war in dem dort entschiedenen Fall die Hauptsache noch nicht bei dem Finanzgericht anhängig, sondern befand sich noch im Einspruchsverfahren.

Der Senat ist auch der zuständige gesetzliche Richter in dieser Sache. Zu Unrecht meint der Antragsteller, dass für die hier streitige Rechtsfrage der Höhe der Säumniszuschläge (§ 240 AO) der 5. Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan (Gvpl.) des Gerichtes zur Entscheidung berufen sei.

Nach Teil B. I. Ziff. 1 und 2 Gvpl. fallen in die Bezirkszuständigkeit eines Senats alle Klagen, die einen ihm zugeordneten Finanzamtsbezirk betreffen, sofern keine Spezialzuständigkeit eingreift (Bezirkssenat). Die Bezirkszuständigkeit umfasst insbesondere auch Verfahren aus dem Bereich des allgemeinen Abgabenrechts sowie der Vollstreckung (Sechster Teil der Abgabenordnung und §§ 151 ff. FGO), sofern keine Spezialzuständigkeit (B. II. Gvpl.) eingreift. Nach Teil A. I. Gvpl. ist der 12. Senat u. a. zuständig für den Bezirk des Festsetzungsfinanzamtes Ibbenbüren, soweit wie hier das Verfahren nach dem 31.12.2018 beim Gericht eingegangen ist.

In die Spezialzuständigkeit eines Senats fallen alle Klagen, die ein ihm nach Maßgabe von Teil A. Gvpl. als Spezialzuständigkeit zugeordnetes Arbeitsgebiet betreffen (Spezialsenat). Die Spezialzuständigkeit greift vorbehaltlich abweichender Regelungen in Teil A. Gvpl. auch ein, wenn ein Sachzusammenhang zum Arbeitsgebiet einer Spezialzuständigkeit besteht und es sich dabei insbesondere um steuerliche Nebenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AO handelt. Zwar sind Säumniszuschläge steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 Nr. 5 AO), ein Sachzusammenhang mit einem weiteren Klagegegenstand, der in die Spezialzuständigkeit des 5. Senats fällt, besteht allerdings nicht, da es in diesem Verfahren allein um die Höhe der Säumniszuschläge zu rechtskräftig festgesetzten Umsatzsteuern geht.

2. Zu Recht beruft sich der Antragsgegner für seinen Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO auf die Rechtsprechung des BVerfG vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17).

a. Zu den Umständen, die einen Beteiligten berechtigen, einen Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zu stellen, gehören auch Änderungen des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 167. Lieferung, § 69 FGO Rz. 166, m.w.N. zur Rechtsprechung).

Die Entscheidungen des BVerfG vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) stellen einen solchen Umstand dar. Das BVerfG klärt in diesen Entscheidungen die Frage der Verfassungswidrigkeit der Vollverzinsung gemäß § 233a AO i.V.m. § 238 AO, spricht eine Unanwendbarkeit dieser Normen allerdings erst ab den nach dem 31.12.2018 beginnenden Verzinsungszeiträumen aus. Die Entscheidungen können damit auch Auswirkungen bzgl. der Frage der Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge entfalten.

b. Aufgrund der vorgenannten Entscheidungen des BVerfG hat der Senat nunmehr keine erheblichen Bedenken an der Gültigkeit des § 240 AO im streitigen Zeitraum. Dies gilt jedenfalls, soweit mit dieser Norm auch Zinsvorteile des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden sollen.

Das BVerfG hat ausdrücklich die Fortgeltung des § 233a AO i.V.m. § 238 AO für die Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019 angeordnet. Soweit es ausgeführt hat, dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung zulasten des Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach §§ 234, 235 und 237 AO, nicht in Betracht komme, und soweit die Entscheidung darüber hinaus keine Ausführungen zu den Säumniszuschlägen im Sinne des § 240 AO enthält, folgt daraus für die hier zu treffende Entscheidung nichts Gegenteiliges. Denn wenn schon die Vollverzinsung nach § 233a AO i.V.m. § 238 AO trotz verfassungsrechtlicher Bedenken bis zum 31.12.2018 nach der Rechtsprechung des BVerfG weiter gilt, so folgt daraus im Erst-Recht-Schluss, dass auch Säumniszuschläge zumindest bis zum 31.12.2018 und jedenfalls bzgl. des darin enthaltenen Verzinsungsanteils nicht wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben sind. Denn Säumniszuschläge verfolgen nicht nur den Zweck, Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu sein, sondern sind auch Druckmittel, um den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten Steuerschuld anzuhalten. Sie dienen zudem auch der Abgeltung von Verwaltungsaufwendungen, die bei der verwaltenden Körperschaft dadurch entstehen, dass der Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlt (vgl. dazu BFH, Urteile vom 26.01.1988 – VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695; vom 30.03.2006 – V R 2/04, BStBl II 2006, 612; BFH-Beschluss vom 02.03.2017 II B 33/16, BStBl II 2017, 646). Im vorliegenden Fall wurde die Aufhebung der Vollziehung der Säumniszuschläge lediglich zu 50 % beantragt. Ausweislich des Antrags sollte dieser Betrag den Anteil der Säumniszuschläge darstellen, der im Wesentlichen dem gleichen Zweck wie eine Verzinsung nach § 233a AO i. V. m. § 238 AO dient. Gelten aber nach der oben genannten Rechtsprechung des BVerfG die Regelungen zur Vollverzinsung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken bis zum 31.12.2018 fort, so gilt dieses nach Auffassung des Senates jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung für den vorliegenden Fall entsprechend. Denn die von dem Antragsteller bezifferten anteiligen Säumniszuschläge betragen ohne Berücksichtigung, dass damit auch Verwaltungskosten abgegolten sein könnten, bei prozentualer Betrachtung für jeden angefangenen Monat ebenso wie der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 AO nur 0,5 Prozent.

c. Etwas anderes folgt auch nicht aus der von dem Antragsteller angeführten Vorlage des BFH an den EuGH vom 08.06.2021 und dem dort benannten unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Im Gegensatz zu der Vorlageentscheidung steht hier die maßgebliche Norm des § 240 AO nicht in einem möglichen Widerspruch zu einer unionsrechtlichen Richtliniennorm. Vielmehr ist der Regelungsbereich des § 240 AO allein dem innerstaatlichen Recht vorbehalten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und berücksichtigt, dass das Verfahren nach § 69 Abs. 6 FGO im Vergleich zu dem Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO ein eigenständiges Verfahren ist (Gosch, AO/FGO, 162. Lieferung, § 69 FGO Rz. 344.4; Birkenfeld in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, § 69 FGO Rz. 1397). Es verbleibt daher bei der Kostenentscheidung des BFH im Beschluss vom 26.05.2021, die der Senat zur Klarstellung in seiner Kostenentscheidung nur wiederholt hat.

4. Gründe für die Zulassung der Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 FGO i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Finanzgericht Münster, 12-V-901/20-AO

Beschluss vom 12.10.2021

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