Steuerrecht

Vergessene AfA in der Einkommensteuererklärung als offenbare Unrichtigkeit

Orientierungssatz:

  1. Eine vergessene Eintragung in der Steuererklärung, die aus den bei der Veranlagung vorliegenden Unterlagen ohne Weiteres als Fehler ergibt, ist als vom Finanzamt übernommenes mechanisches Versehen anzusehen.

  2. Bei Durchführung eines maschinellen Abgleichs hinterlegter festsetzungsnaher Daten mit den eingegebenen Veranlagungsdaten, gelten die elektronisch hinterlegten festsetzungsnahen Daten als bei der Veranlagung hinzugezogen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Bearbeiter einem entsprechenden Prüfhinweis Folge leistet.

  3. Ein Ermittlungsfehler liegt bei einem automatischen maschinellen Abgleich der Veranlagungsdaten mit den festsetzungsnahen Daten nicht vor; es handelt sich dabei vielmehr um ein (pflichtwidriges) Übersehen der gespeicherten Daten, das bei einem ohne Weiteres erkennbaren Fehler zu einer Berichtigung des bestandskräftigen Bescheids wegen einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO führt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Absetzung für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 4 EStG bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Streitig ist insbesondere, ob die Nichtberücksichtigung der AfA eine offenbare Unrichtigkeit darstellt, die eine Berichtigung nach § 129 AO zulässt.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erzielte im Streitjahr u.a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Grundstück A. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2014 versäumten es die Kläger durch Unachtsamkeit in der Anlage V zu oben genannten Grundstück bei den Werbungskosten die AfA Beträge i.H.v. … € zu erklären. Bereits am 29.4.2004 hatte der Beklagte für das Grundstück eine bis zum Jahr 2036 reichende AfA Tabelle über die jährlich anzusetzenden AfA Beträge i.H.v. … € erstellt und diese in seinem EDV-System zu der Steuernummer der Kläger als „festsetzungsnahen Daten“ hinterlegt. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer berücksichtigte der Beklagte die nicht erklärten AfA Beträge nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und erließ am 28.4.2016 einen entsprechenden Steuerbescheid für 2014. Einen Prüfhinweis im Rahmen der Veranlagung vom 19.4.2016, der lautete: „Die geltend gemachten Absetzungen bei den Einkünften aus V u. V (KZ 25.130,25.160/…) stimmen nicht mit dem AfA-Betrag in den festsetzungsnahen Daten überein. Bitte prüfen und gegebenenfalls die festsetzungsnahen Daten aktualisieren“ ließ der Bearbeiter unberücksichtigt. Der Steuerbescheid wurde bestandskräftig.

Nachdem die Kläger bemerkt hatten, dass die AfA für das Objekt unberücksichtigt geblieben war, beantragten sie Änderung des Einkommensteuerbescheides. Den Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 wies der Beklagte durch Bescheid vom 12.4.2018 zurück.

Dabei verwies er auf die Bestandskraft des Steuerbescheides und führte aus, dass weder eine Berichtigung nach § 129 AO noch nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht komme. Eine Berichtigung nach § 129 AO scheide trotz der fehlerhaften Auswertung des Bearbeitungshinweises aus, da ein Ermittlungsfehler vorliege, der nicht nach § 129 AO beseitigt werden könne. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheitere daran, dass die steuerlich relevante Tatsache, dass für das Objekt AfA zu berücksichtigen ist, dem Finanzamt bereits bekannt war. Dagegen wandten sich die Kläger mit dem Einspruch, den das Finanzamt durch Einspruchsentscheidung vom 16.8.2018 zurückwies. Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids.

Die Kläger sind der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO lägen vor. Zwar beziehe sich die Norm nach ihrem Wortlaut nur auf die Korrektur eines Versehens des Finanzamts; sie finde jedoch auch Anwendung, wenn die Fehlerhaftigkeit von Angaben der Steuerpflichtigen für das Finanzamt ohne weiteres erkennbar gewesen sei und das Finanzamt damit eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung als eigene übernommen habe. Dies sei hier der Fall, da der Beklagte eine bis zum Jahr 2036 reichende Tabelle über die jährlich anzusetzenden AfA-Beträge erstellt und diese in seinem System hinterlegt habe. Da für das Objekt Mieteinnahmen und die übrigen Werbungskosten erklärt worden seien und der Beklagte davon ausgehen durfte, dass die Kläger kein Geschenk an den Fiskus beabsichtigt hätten, sei erkennbar gewesen, dass es sich um einen reinen Übertragungsfehler bei Übernahme der Daten aus dem Vorjahr gehandelt habe. Der zuständige Sachbearbeiter habe diesen Fehler trotz hinterlegter Daten und Hinweises des Systems ohne entsprechende Nachfrage in den Steuerbescheid übernommen, so dass die Unrichtigkeit dem Beklagten als eigene zuzurechnen sei. Die Nichtberücksichtigung der in den festsetzungsnahen Daten hinterlegten Informationen, die aufgrund des Hinweisbeschlusses bei der Veranlagung hinzuzuziehen seien, sei vergleichbar mit dem Übersehen einer Kontrollmitteilung, was nach der Rechtsprechung zweifelsfrei dem Anwendungsbereich des § 129 AO unterfalle. Wie bei der Papierakte die AfA-Tabelle durch Blättern in der Akte präsent sei, seien die festsetzungsnahen Daten durch Klick im Computer präsent. Im Übrigen könne es nicht angehen, dass eine Pflichtverletzung des Bearbeiters des Finanzamtes dem Steuerpflichtigen zum Nachteil gereiche.

Die Kläger beantragen,

  • den ablehnenden Bescheid zur Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 vom 12.4.2018 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 17.8.2018 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 28.4.2016 dahingehend zu ändern, dass die Abschreibung für das Objekt: … i.H.v. …€ als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt wird.

Der Beklagte beantragt,

  • die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsansicht, dass es sich vorliegend um einen Ermittlungsfehler handele, der nicht offenbar sei, fest, so dass eine Berichtigung nach § 129 AO nicht in Betracht komme. Dabei verweist er darauf, dass die elektronisch abgelegten festsetzungsnahen Daten regelmäßig nicht bei der Veranlagung hinzugezogen würden. Zwar sei vorliegend ein entsprechender Prüfhinweis erfolgt, der eine Hinzuziehung der festsetzungsnahen Daten geboten hätte, der Zugriff auf die Daten bei den jeweiligen Objekten sei jedoch ebenso wie die Hinzuziehung der Vorjahresakten als weitere Ermittlung anzusehen. Das Vorliegen eines Ermittlungsfehlers schließe jedoch eine Änderung nach § 129 AO aus, da der Fehler nicht offenbar sei. Die unterlassene oder unvollständige Bearbeitung eines maschinell erzeugten Prüfhinweis sei in der Regel ein Fehler bei der Sachverhaltsaufklärung und somit ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Rechtsfehler. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteile vom 31.7.1990, I R 116/88; vom 27.5.2009 X R 47/08, Bundessteuerblatt II 2009,929) stelle eine mangelhafte Amtsermittlung keine offenbare Unrichtigkeit dar und stehe einer solchen auch nicht gleich. Zur rechtlichen Beurteilung verweist der Beklagte weiterhin auf das Urteil des BFH vom 16.1.2018, VI R 38/16, in dem der BFH zu elektronisch gespeicherten Arbeitnehmerdaten geurteilt habe, dass die elektronisch hinterlegten Daten regelmäßig nicht Gegenstand der Veranlagung seien.

Dem Gericht hat ein Band Einkommensteuerakten zur Steuernummer: … vorgelegen; er war Gegenstand des Verfahrens.

Gründe:

Die Klage ist begründet.

Der ablehnende Bescheid über die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 ist aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die Abschreibung nach § 7 Abs. 4 EStG im Rahmen des Einkommensteuerbescheides 2014 steuermindernd zu berücksichtigen.

Entgegen der Ansicht des Beklagten stellt die Nichtberücksichtigung der AfA-Beträge i.H.v. … € für das Grundstück A als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eine offenbare Unrichtigkeit dar, die nach § 129 AO zur Änderung des Steuerbescheides und zur steuermindernden Berücksichtigung der AfA nach § 7 Abs. 4 EStG als Werbungskosten führt.

Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist.

Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Das Tatbestandsmerkmal „ähnliche offenbare Unrichtigkeiten“ setzt voraus, dass die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d.h. dass es sich um einen „mechanischen“ Fehler handelt, der ebenso mechanisch also ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden kann (BFH-Urteil vom 12.4.1994, IX R 31/91, BFH/NV 1995,1; BFH-Urteil vom 27.5.2009, X R 47/08, Bundessteuerblatt II 2009,946).

Eine offenbare Unrichtigkeit kann zwar auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d.h. für das Finanzamt erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt (BFH-Urteil vom 4.6.2008 X R 47/07, BFH/NV 2008,1801 m.w.N.). Ist jedoch die mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor. Auch eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter – gegebenenfalls unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht – jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen (BFH-Urteil vom 27.5.2009, X R 47/08, Bundessteuerblatt II 2009, 946). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen.

Es entspricht zwar der gesicherten Rechtsprechung des BFH, dass grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, wenn sie für den zuständigen Sachbearbeiter des Finanzamts nur erkennbar gewesen wäre, wenn er die Steuererklärung eines Vorjahres bei der Veranlagung der Streitjahre zugezogen hätte. Soweit die Finanzbehörde auf Akten des Vorjahrs zurückgreifen muss, liegt eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung vor, die kein mechanisches Versehen ist. In solchen Fällen hat das Finanzamt zwar möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht verletzt; diese Pflichtverletzung ist aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen (BFH-Urteil vom 25.2.1972, VIII R 141/71, Bundessteuerblatt II 1972,550); sie schließt vielmehr in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit aus. Etwas Anderes gilt jedoch dann, wenn der Sachbearbeiter es versehentlich unterlassen hat, die für die Veranlagung der Streitjahre vorliegenden Unterlagen auszuwerten, indem er eine für das Streitjahr einschlägige ihm zugegangene Kontrollmitteilung übersieht oder bei der Veranlagung vorliegende Unterlagen nicht auswertet. (BFH-Urteil vom 27.5.2009 aaO.). In diesem Fall hat die fehlende Nichtberücksichtigung von Aufwendungen ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit des zuständigen Sachbearbeiters bei der Erstellung des Einkommensteuerbescheides und beruht nicht auf einer unzureichenden Sachaufklärung, so dass Anhaltspunkte für einen möglichen Rechtsirrtum seitens des Sachbearbeiters nicht erkennbar sind.

Daraus ergibt sich, dass früher, im Rahmen der aktengeführten Veranlagung, bei der die AfA-Tabellen den Akten vorgeheftet und somit bei jeder Neuveranlagung präsent waren, bei Nichtberücksichtigung der Abschreibung ein Versehen und kein Ermittlungsfehler vorlag, da die Unterlagen präsent waren. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat dies ausdrücklich bestätigt, indem es ausführt, dass der in den Akten vorgeheftete AfA-Überwachungsbogen bei der Veranlagung stets vorliege und mit zu prüfen sei. Es hat dies weitergehend auch auf die Vorjahresunterlagen bezogen, soweit diese in den späteren Veranlagungsjahren die Funktion eines Überwachungsbogens erfüllten und somit wie eine das Veranlagungsjahr betreffende Kontrollmitteilung als Unterlagen des Veranlagungsjahres anzusehen seien (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.2.2006, 1 K 212/02, EFG 2006,859).

Nichts Anderes kann vorliegend im Rahmen der elektronischen Veranlagung gelten. Wie der Prüfhinweis zeigt, werden die festsetzungsnahen Daten zum Gegenstand der Veranlagung. Denn aus der Formulierung des Prüfhinweises „die geltend gemachten Absetzungen… stimmen nicht mit dem AfA Betrag in den festsetzungsnahen Daten überein…“ ergibt sich, dass eine Heranziehung der Daten durch den Computer im Rahmen der Veranlagung erfolgt, die dem Bearbeiter zuzurechnen ist. Die festsetzungsnahen Daten gelten somit als vom Computer automatisch hinzugezogen. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Bearbeiter dem Prüfhinweis Folge leistet oder insoweit seine Pflicht verletzt und eine Nachsicht in den festsetzungsnahen Daten unterlässt. Die festsetzungsnahen Daten erfüllen somit vorliegend die Funktion einer Kontrollmitteilung für das Veranlagungsjahr und gelten demgemäß als bei der Veranlagung präsent. Bei wertender Betrachtung liegt daher kein Ermittlungsfehler, sondern ein (pflichtwidriges) Übersehen der gespeicherten Daten und somit eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO vor.

Soweit der BFH in seinem Urteil vom 16.1.2018 VI R 38/16 zu elektronisch gespeicherten Arbeitnehmerdaten ausgeführt, dass die elektronisch hinterlegten Daten regelmäßig nicht Gegenstand der Veranlagung seien, führt dies vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Im Gegensatz zu dem dort entschiedenen Fall liegt hier nicht nur ein Prüfhinweis vor, der ausdrücklich eine Hinzuziehung der konkreten elektronisch hinterlegten festsetzungsnahen Daten gebietet, sondern darüber hinaus findet im Rahmen der Veranlagung ein elektronischer Abgleich der Daten statt, so dass diese als bei der Veranlagung präsent gelten.

Davon ausgehend liegt im Streitfall eine offenbare Unrichtigkeit vor, die zu einer Aufhebung des Ablehnungsbescheides und der Einspruchsentscheidung sowie zur Verpflichtung des Beklagten zur Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 nach § 129 AO durch Berücksichtigung der AfA für das Grundstück A bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung führt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung einer Anwendung des § 129 AO im Rahmen der EDV-gestützten Veranlagung bei Übergehen eines Prüfhinweises und Nichthinzuziehung hinterlegter elektronischer festsetzungsnaher Daten geboten (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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