Bundesfinanzhof, IX-R-17/18
Beschluss vom 03.09.2019
Büroversehen
Leitsatz:
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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn bei der dargestellten Sachlage ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist.
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Die Begründungsfrist für die Revision gehört nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen. Der Prozessbevollmächtigte ist bei der Prüfung der Revisionsbegründungsfrist und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet.
Tenor:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12.04.2018 – 9 K 1053/15 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand:
1
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (2011) u.a. einen Verlust nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte den Verlust nur teilweise an; nicht zu berücksichtigen sei der Verlust eines Gesellschafterdarlehens, da der Kläger nur mit 4,87 % –und damit nicht „unternehmerisch“– am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt gewesen sei und das Darlehen keinen eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt habe.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Der geltend gemachte Forderungsausfall des Klägers sei weder nach § 17 EStG noch nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen. Das erstinstanzliche Urteil, in dem das FG die Revision zugelassen hatte, wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 20.04.2018 zugestellt.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erhob hiergegen fristgerecht unter dem 18.05.2018 Revision; eine Begründung der Revision ging bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (20.06.2018) nicht ein. Mit Schreiben vom 26.06.2018, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 27.06.2018, hat der Senatsvorsitzende auf die Versäumung der Frist sowie auf die Vorschrift des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen. Mit Schreiben vom 20.07.2018, per Telefax am selben Tag beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen, haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die verspätete Einreichung der Revisionsbegründung beruhe auf einem entschuldbaren Büroversehen in der Steuerkanzlei ihres Prozessbevollmächtigten.
In der Kanzlei würden Fristeinträge und -austräge sowie Posteingänge und -ausgänge von der Büroangestellten A, welche gelernte Justizangestellte und seit mehreren Jahren in der Kanzlei beschäftigt sei, selbstständig bearbeitet. Seit 2014 erfolge die Fristenerfassung über ein DATEV-Programm.
A sei äußerst zuverlässig und gewissenhaft und mit fristbehafteten Vorgängen bestens vertraut; zudem sei sie durch den Prozessbevollmächtigten umfassend über die Fristbearbeitung informiert worden. Unklarheiten hinsichtlich der Erfassung von Fristen würden durch Rückfrage beim Prozessbevollmächtigten geklärt. Im Streitfall habe A die Frist für die Einlegung der Revision, nicht aber die Frist für die Begründung der Revision in das elektronische Programm eingetragen.
Die Fristüberwachung werde durch den Prozessbevollmächtigten täglich vorgenommen. Das hierfür in der Kanzlei vorgehaltene EDV-Programm öffne sich automatisch beim Start des Computers des Prozessbevollmächtigten; offene Fristen würden angezeigt und könnten bei dieser Gelegenheit überwacht werden. Da die Revisionsbegründungsfrist von A nicht eingetragen worden sei, habe sie aus technischen Gründen nicht in der vom Prozessbevollmächtigten täglich eingesehenen Fristenüberwachungstabelle angezeigt werden können. Aus diesem Grund sei die Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist übersehen worden.
Ergänzend zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Prozessbevollmächtigte einen Ausdruck des elektronischen Fristenkontrollbuchs vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die Frist für die Einlegung der Revision zutreffend erfasst wurde. Ferner wurde ein Auszug aus dem (elektronischen) Postausgangsbuch vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die Revisionsschrift am 18.05.2018 die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten verlassen hat. Eine eidesstattliche Versicherung über den behaupteten Verfahrensablauf in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten wurde nicht vorgelegt.
Die Kläger vertreten die Auffassung, dass ein ihnen zurechenbarer Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nicht vorliege.
In der Sache vertreten die Kläger die Auffassung, dass der geltend gemachte Verlust des Gesellschafterdarlehens nach § 17 EStG, hilfsweise nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, ihnen wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sowie das angefochtene Urteil des FG vom 12.04.2018 – 9 K 1053/15 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 04.09.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2015 mit der Maßgabe zu ändern, dass ein Veräußerungsverlust i.S. des § 17 EStG in Höhe von 246.081,28 € berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe:
II.
Die Revision ist mangels fristgerechter Begründung unzulässig (§ 124 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO) und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1.
Die von den Klägern begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden.
Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 25.06.2003 – XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden –also auch einfache Fahrlässigkeit– die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Wiedereinsetzungsgründe schon nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Wird –wie im Streitfall– Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens bei der Einhaltung einer Frist begehrt, muss substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden. Der Prozessbevollmächtigte, der zur Rechtfertigung seines Wiedereinsetzungsantrags vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist für die Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss hiernach vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anordnungen notiert und kontrolliert werden. Dazu gehört nicht nur der Vortrag, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt, sondern auch, wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat (BFH-Beschluss vom 08.02.2008 – X B 95/07, BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass die Begründungsfrist für die Revision nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören. Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung der Revisionsbegründungsfrist und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 23.08.2016 – IX R 15/16, BFH/NV 2017, 47; vom 20.07.2016 – I R 6/16, BFH/NV 2016, 1733; vom 03.04.2013 – V R 24/12, BFH/NV 2013, 970; vom 06.11.2012 – VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 397; vom 18.01.2007 – III R 65/05, BFH/NV 2007, 945; vom 24.01.2005 – III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312, jeweils m.w.N.).
Die in diesem Zusammenhang vorzutragenden Tatsachen müssen durch präsente Beweismittel, wie z.B. eidesstattliche Versicherungen oder Ablichtungen der entsprechenden Seiten des Fristenkontrollbuchs, glaubhaft gemacht werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.).
c)
Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger genügt den dargestellten Anforderungen zur Feststellung der ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist nicht. So ist schon nicht dargelegt, wie die Fristenkontrolle und die Überprüfung des hiermit betrauten Personals bei der Einhaltung speziell bei nicht alltäglichen Fristen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Kläger gehandhabt wird. Hinzu kommt, dass der Prozessbevollmächtigte in seinem Wiedereinsetzungsantrag ausdrücklich davon ausgeht, dass es sich bei der Revisionsbegründungsfrist seiner Auffassung nach um eine häufig vorkommende und einfach zu berechnende Frist handele. Der Prozessbevollmächtigte gibt damit zu erkennen, dass er bei der Eintragung und Überwachung von Revisionsbegründungsfristen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte besondere Sorgfalt schon nicht für erforderlich hält.
Überdies kann von einer wirksamen täglichen Fristenkontrolle durch den Prozessbevollmächtigten nicht ausgegangen werden, wenn der fehlende Eintrag einer Begründungsfrist über einen längeren Zeitraum –hier zwischen Eintragung der Einlegungsfrist am 20.04.2018 und dem Zugang des Hinweisschreibens des Senatsvorsitzenden vom 26.06.2018– trotz vorgeblich täglicher Kontrolle völlig unbemerkt bleibt. Der bloße Hinweis auf die Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit der mit der Fristenerfassung betrauten Büroangestellten A genügt insoweit nicht, um den Senat von einem entschuldbaren Büroversehen zu überzeugen, wenn der Prozessbevollmächtigte gleichzeitig im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags vorträgt, dass mit Blick auf die Zuverlässigkeit der beauftragten Person eine besondere Überprüfung der eingetragenen (bzw. nicht eingetragenen) Fristen im vorliegenden Fall überhaupt nicht stattgefunden habe. Vielmehr ist bei der dargestellten Sachlage ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.