Rechtsprechung

Wirksamkeit der Versetzung einer Flugbegleiterin an einen anderen Standort

Landesarbeitsgericht Köln, 11-Sa-593/16

Urteil vom 05.04.2017

Leitsatz:

Einzelfall – keiner

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Versetzungen.

Die im Jahre 1 geborene Klägerin, Mutter von zwei minderjährigen Kindern, ist seit dem 26.08.2001 bei der beklagten Fluggesellschaft als Flugbegleiterin – ursprünglich am Einsatzort F – beschäftigt, seit dem Januar 2014 in Teilzeit mit einer reduzierten Arbeitszeit von 72,05 % der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Mitarbeiters. Der Formulararbeitsvertrag enthält zum einen eine ortsbezogene Versetzungsklausel (Ziffer 1 Abs. 2) und zum anderen die Inbezugnahme der für den Bereich „Kabinenbesatzungen Gemischt und Interkon.“ geltenden Tarifverträgen sowie den Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils geltenden Fassung (Ziffer 2). Wegen der weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrages vom 28.06.2001 und des Teilzeitvertrags vom 04.10.2013 wird auf Bl. 11 ff. d. A. verwiesen. Ab dem August 2002 wurde die Klägerin vom Stationierungsort B aus eingesetzt.

Im Betrieb der Beklagten besteht eine Personalvertretung auf Grundlage des nach § 117 Abs. 2 BetrVG geschlossenen Tarifvertrags Personalvertretung für das Bordpersonal vom 15.11.1972 (TV PV). Wegen der Einzelheiten der Regelungen TV PV wird auf Bl. 323 ff. d. A. verwiesen.

Am 08.05.2013 schloss die Beklagte mit der Gesamtvertretung für das fliegende Personal einen Interessenausgleich und Sozialplan (IA/SP). Hiernach ist aufgrund hoher Verluste im dezentralen Verkehr die Schließung verschiedener Standorte notwendig, u. a. auch des Standorts B . Die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter soll entweder in F oder M erfolgen. Zur Abmilderung der Folgen bestehen diverse Wahlmöglichkeiten der Arbeitnehmer, so u. a. nach § 8 Buchstabe e IA/SP der virtuell befristete Verbleib am bisherigen Standort für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren. Der Einsatz vom virtuellen Stationierungsstandort erfolgt dann über sog. Dead-Head-Flüge zum gewählten Stationierungsstandort F oder M . Bei Wahl des befristeten Verbleibs am bisherigen Standort für zwei Jahre erhält der Mitarbeiter nach Ablauf der virtuellen Stationierung 25 % der Auslagenpauschale sowie 60 % des Zuschlags zur Auslagenpauschale. Wegen der weiteren Einzelheiten des IA/SP wird auf Bl. 14 ff. d. A. verwiesen.

Im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung entschied sich die Klägerin zunächst für den künftigen Einsatzort F , worauf sie von der Beklagten mit Schreiben vom 13.12.2013 (Bl. 28 d.A.) nach F versetzt wurde. Nachdem die Klägerin mit E-Mail vom 22.01.2014 (Anlagenband Anlage B 6) aus familiären Gründen um eine Abänderung des künftigen Stationierungsortes gebeten hatte, versetzte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 12.03.2014 nach M mit Wirkung vom 01.04.2014.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.04.2016 (Bl. 180 ff. d. A.) die Klage, mit der sich die Klägerin gegen die Versetzungen vom 13.12.2013 und 12.04.2014 wendet, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für die Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung vom 13.12.2013 fehle es an einem Rechtsschutzinteresse, da die Beklagte mit Schreiben vom 12.03.2014 mitgeteilt habe, dass sie die Versetzung nach F nicht mehr aufrecht erhalte. Die Versetzungsmaßnahme vom 12.03.2014 genüge billigem Ermessen, die unternehmerische Entscheidung der Beklagten der Schließung der dezentralen Stationierungsorte sei hinzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 10.06.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.07.2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 31.08.2016 begründet.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Versetzungen nicht billigem Ermessen entsprechen. Sie schließt sich den Entscheidungsgründen des Hessischen Landesarbeitsgerichts in einem parallel gelagerten Rechtsstreit (LAG Hessen, Urt. v. 16.11.2015 – 17 Sa 1647/14, Bl. 83 ff. d. A.) an. Durch das Angebot virtueller Stationierung im IA/SP ließen sich Kostenvermeidungseffekte nicht erzielen, da die Mitarbeiter auch Dead-Head und damit in bezahlter Arbeitszeit anreisen würden und Hotelkosten verursachten. Den Interessen der Beklagten sei hinreichend gedient, wenn die Umstationierung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolge. Es handele sich um Versetzungen auf Vorrat. Die Interessen der Klägerin seien nachteilig durch die abweichende Berechnung von Arbeitszeit und Ruhezeiten berührt. Zudem sei die Personalvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln zum Geschäftszeichen 8 Ca 4222/15 festzustellen, dass die gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Versetzungen vom 13.12.2013 und vom 12.03.2014 unwirksam sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme und Vertiefung ihres Vortrags erster Instanz. Die Beklagte habe sich aus Gründen der Kostenersparnis zur Neuorganisation der Stationierung des fliegerischen Personals entschlossen und die Schließung der dezentralen Standorte tatsächlich durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 31.08.2016, 14.11.2016 und 20.01.2017, die Sitzungsniederschrift vom 05.04.2017 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe:

Die Berufung der Klägerin ist unzulässig, soweit sie die Versetzungsmaßnahme vom 13.12.2013 betrifft, denn die Berufungsbegründung setzt sich mit den Gründen des Arbeitsgerichts, wonach ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO fehle, weil die Beklagte mit Schreiben vom 12.03.2014 erklärt habe, die Versetzung vom 13.12.2013 nach F werde nicht aufrecht erhalten, nicht auseinander.

In der Berufungsbegründung muss für jeden der Streitgegenstände eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügende Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG, Urt. v. 08.05.2008 – 6 AZR 517/07 – m. w. N.). Die aufgrund § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG anwendbare Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfordert eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Der Berufungsführer hat die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Er muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des Urteils befassen, wenn er dieses bekämpfen will. Formelhafte Wendungen und die bloße Bezugnahme oder Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt nicht (BAG, Urt. v. 19.02.2013- 9 AZR 543/11 – m. w. N.).

Im Übrigen ist die Berufung zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet. Sie ist jedoch unbegründet, die Versetzungsmaßnahme vom 12.03.2014 ist nach § 106 GewO gerechtfertigt, denn die Grundsätze billigen Ermessens sind gewahrt.

Die Berufungskammer folgt der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Parallelfällen zur Versetzung aufgrund des IA/ SP vom 08.05.2013 (vgl. z.B.: BAG, Urt. v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16 -; Urt. v. 30.11.2016 – 10 AZR 744/15 – Urt. v. 30.11.2016 – 10 AZR 805/15 -). Hiernach gilt kurz zusammen gefasst Folgendes:

Die Beklagte hat sich in Ziffer 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vom 28.06.2001 das Recht vorbehalten, die Klägerin an einem anderen Ort einzusetzen. Die Regelung genügt dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Grundsätze billigen Ermessens sind gewahrt (§§ 106 Satz 1 GewO, 315 BGB). Die Weisung beruht auf einem unternehmerischen Konzept der Beklagten, dem ein besonderes Gewicht zukommt. Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Direktverkehr strukturell zu reformieren, einen erheblichen Teil der Flüge – mit Ausnahme der Zubringerflüge – nicht mehr selbst durchzuführen und die meisten dezentralen Stationierungsorte, darunter den Stationierungsort B , vollständig zu schließen. Die Reform der Direktverkehre und die damit verbundene Zentralisierung der Stationierungsorte ist auf Dauer angelegt. Die unternehmerische Entscheidung der Beklagten ist weder als willkürlich noch rechtsmissbräuchlich anzusehen. Die Beklagte hat plausibel dargelegt, welche wirtschaftlichen Erwartungen sie mit der Umsetzung der getroffenen Maßnahmen verbindet, insbesondere im Zusammenhang mit der Reduzierung sog. Dead-Head-Kosten, der Einsatzmöglichkeiten der betroffenen Flugbegleiter und entfallender Kosten an den bisherigen dezentralen Stationierungsorten. Ob dies im Einzelnen zutrifft und sich tatsächlich realisiert, unterliegt ebenso wenig einer gerichtlichen Kontrolle wie die Beurteilung, ob andere Organisationsentscheidungen möglich und ggf. wirtschaftlich sinnvoller gewesen wären. Eine Zweckmäßigkeitskontrolle der unternehmerischen Entscheidung findet nicht statt. Nach der Reform der Direktverkehre werden ab B durch die Beklagte nur noch die Zubringerflüge von und nach F und M durchgeführt. Die Flugumläufe beginnen dort und nicht mehr wie bisher auch an dezentralen Stationierungsorten. Die tariflich vorgesehene Übernahme der Dead-Head-Kosten in solchen Fällen ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Besatzungen im Regelfall die Arbeit am jeweils festgelegten Dienstort aufnehmen und die Bezahlung der Dead-Head-Kosten die Ausnahme bleibt. Eine dauerhafte Stationierung der Klägerin in B wäre damit nicht vereinbar. Eine Sozialauswahl findet nicht statt.

Die in § 8 Buchstabe e IA/SP vorgesehene Möglichkeit des befristeten virtuellen Verbleibs am bisherigen Stationierungsort ist eine Maßnahme zum Ausgleich oder zur Milderung der durch die Versetzungen eintretenden wirtschaftlichen Nachteile und steht der Annahme der unternehmerischen Entscheidung zur Umgestaltung des Direktverkehres und zur Schließung der dezentralen Stationierungsorte nicht entgegen. Die Versetzung erfolgte nicht auf Vorrat, andere Maßnahmen sind mit der Organisationsentscheidung der Beklagten nicht zu vereinbaren. Der Verzicht auf die Versetzung würde den Anspruch des Flugbegleiters aus § 8 Buchstabe e IA/SP verstetigen oder jedenfalls entgegen dem erkennbaren Willen der Betriebsparteien erheblich verlängern, da die virtuelle Stationierung gerade die Versetzung voraussetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Bundesarbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe zitierten Entscheidungen verwiesen.

Die Klägerin hat keine unzumutbaren persönlichen, familiären oder sonstige außervertraglich entstandene Belastungen vorgetragen. Sie beruft sich lediglich in allgemeiner Form auf die durch die Umstationierung erfolgende nachteilige Berechnung von Arbeitszeit und Ruhezeiten. Selbst wenn jedoch ihre Betreuungssituation berücksichtigt, ist darauf hinzuweisen, dass eine Flugbegleiterin nach dem Vertragszweck nicht die berechtigte Erwartung haben kann, die sozialen und sonstigen Vorteile eines dauerhaft ortsfesten Arbeitseinsatzes in Anspruch nehmen zu können. Längere Ortsabwesenheiten gehören grundsätzlich zum Berufsbild. Die Versetzung unterstreicht diese Besonderheiten, verursacht sie aber nicht. Die auftretenden Belastungen und zusätzlich entstehenden Kosten muss die Klägerin hinnehmen. Umstände, die auf die Möglichkeit hindeuten könnten, unter Aufrechterhaltung der getroffenen und umgesetzten unternehmerischen Entscheidung unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin auf deren Versetzung zu verzichten, hat diese nicht aufgezeigt (vgl. hierzu: BAG, Urt. v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16 -.). Die Versetzungsmaßnahme vom 12.03.2014 entspricht daher billigem Ermessen.

Die bei der Beklagten gebildete Personalvertretung – im Streitfall die Gruppenvertretungen für die Purserette/Purser und Stewardessen/Stewards – ist ordnungsgemäß nach § 88 TV PV beteiligt worden. Mit Schreiben vom 20.02.2014 (Anlagenband Anlage B 7a) ist die Personalvertretung zur Versetzung der Klägerin zum 01.04.2014 zum Standort M mit den notwendigen Angaben zur Person und zum Versetzungsgrund gemäß § 88 Abs. 1 bis Abs. 3 TV PV beteiligt worden und um Zustimmung zur Versetzung gebeten worden. Die Klägerin hat nicht dargetan, aus welchen Gründen die Beteiligung der Personalvertretung fehlerhaft gewesen sein soll. Die Personalvertretung hat die Stellungnahmefrist von einer Woche gemäß § 88 Abs. 6 Satz 1 TV PV unstreitig verstreichen lassen, die Zustimmung zur Versetzung gilt daher nach § 88 Abs. 6 Abs. Satz 2 TV PV als erteilt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Weitere Artikel zum Thema

Anscheinsbeweis spricht bei Alleingesellschafter-Geschäftsführer trotz Nutzungsverbots für Privatnutzung
Welche Anforderungen gelten für die Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG?
Steuervorbescheide (Tax rulings): Die Gesellschaften multinationaler Konzerne in Belgien gewährten Steuervergünstigungen stellen eine rechtswidrige Beihilferegelung dar

Relevante Kategorien

AllgemeinGesellschaftsrechtRechtsprechungSteuerrechtSteuerstrafrechtVertragsrechtWirtschaftsstrafrecht