Rechtsprechung

Welche Anforderungen gelten für die Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG?

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit der Entscheidung vom 07.06.2023 (I R 50/19) seine Grundsätze für die Besteuerung von Streubesitzdividenden gem. § 8b KStG weiter konkretisiert.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die klagende GmbH (G) und X waren Aktionäre der Y-AG (Y). Die G hielt 9,898 % der Aktien, Hauptaktionär war X mit 85,1 %. Ende 2013 schloss die G mit X einen Vertrag über den Kauf einiger Stückaktien, die bei G die Beteiligung an der Y auf über 10 % begründete. Der Vertrag wurde unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises geschlossen. Die Überweisung des Kaufpreises schlug zunächst fehl und war erst 2014 erfolgreich.

Die G bezog im Jahr 2014 von der Y Dividenden für die beiden Vorjahre. In der Körperschaftsteuererklärung erklärte G diese Dividendeneinnahmen unter Anwendung des § 8b KStG als steuerbefreit. Das Finanzamt (FA) lehnte dies ab und berücksichtigte die Dividenden. Das Finanzgericht gab der Klage statt, der BFH folgte dem.

Grundsätze und die Entscheidung im Besprechungsfall

Die von der G begehrte Steuerfreistellung gilt nur, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahrs unmittelbar mehr als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat. Dabei gilt ein strenges Stichtagsprinzip. Der BFH sah die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der von der G erzielten Dividenden aus ihrer Beteiligung an der Y als erfüllt an. Dies gilt insbesondere für die erforderliche Beteiligungsschwelle von 10 % bereits zum Stichtag am 01.01.2014.

Für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung kommt es nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum an. Vielmehr ist die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO maßgebend. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG. Die damit verbindliche Anwendung des steuerrechtlichen Konzepts des sogenannten „wirtschaftlichen Eigentums“ ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG an zivilrechtliche Begriffe (Grund- oder Stammkapital) anknüpft.

Grundsätzlich kommt es für die steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern auf das zivilrechtliche Eigentum an. Zum Stichtag des 01.01.2014 war die GmbH aber noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der fraglichen Stückaktien geworden. Denn die Eigentumsübertragung stand unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung, die erst nach dem 01.01.2014 erfolgte. Die G war jedoch am 01.01.2014 bereits wirtschaftliche Eigentümerin dieser Anteile.

Beim Erwerb von Aktien ist es entscheidend, ob der Erwerber eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Verwaltungs- und Vermögensrechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken auf ihn übergegangen sind. Maßgebend ist dabei, wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zusteht. Auf der Grundlage des § 39 AO rechnete der BFH die durch den Vertrag erworbenen Anteile bereits vor dem 01.01.2014 der GmbH zu, so dass sie zu diesem Zeitpunkt die Beteiligungsschwelle von 10 % bereits überschritten hatte. Der BFH wies die Revision des FA folglich als unbegründet zurück.

Praxishinweis

Der BFH hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass der Begriff der „Beteiligung“ bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG für sogenannte „Streubesitzdividenden“ (Beteiligungen mit weniger als 10 %) auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 AO) Bezug nimmt und dabei entscheidend auf das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen abzustellen ist.

 

Axel Scholz, RA und StB, FA für Steuerrecht
Deubner Recht & Steuern
Anmerkung vom 19.09.2023

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