Cookie Settings
Rechtsprechung

Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung

Brandenburgisches Oberlandesgericht, 11-U-175/15

Urteil vom 03.05.2019

Orientierungssatz:

Gem. § 286 Abs. 1 ZPO bedarf es bei der Sachverhaltsfeststellung weder unumstößlicher Gewissheit, die sich in der Praxis ohnehin selten erreichen lässt, noch genügt ein an Sicherheit grenzendes Maß an Wahrscheinlichkeit; vielmehr ist stets ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an persönlicher richterlicher Überzeugung erforderlich, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sich völlig auszuschließen.

Gründe:

I.

Der am … 1960 geborene Kläger verlangt von der Beklagten, seinem früheren privaten Krankenversicherer, die finanzielle Rückabwicklung einer von ihm am 18.12.2002 über eine damalige Versicherungsvertreterin, die …-Assekuranz …, auf einem entsprechenden Formular (Kopie in Anl. K1/GA I 25, 26 ff.) zum 01.01.2003 beantragten und am 20.12.2002 vorab per Telekopie (Kopie Anl. K2/GA I 75) bestätigten privaten Krankenversicherung, zu der unter anderem ein sogenannter Beitragsentlastungs im Alter (künftig auch zitiert als Tarif …) gehörte. Der Berufungsführer, der laut Antragsformular beim Vertragsabschluss als kaufmännischer Angestellter tätig gewesen ist, macht – von seiner Prozessgegnerin bestritten – geltend, er habe mangels Aushändigung der Tarifinformationen und infolge ursprünglicher Falschberatung durch die Mitarbeiterin der Agentin, die Zeugin …, von den zutreffenden Konditionen des Tarifs … erstmals am 25.11.2010 erfahren, als er sich im Zusammenhang mit einer Beitragserhöhung bei der …-Assekuranz … über Prämieneinsparungsmöglichkeiten informiert habe. Nach umfangreicher Korrespondenz beider Seiten und einer erfolglosen Beschwerde beim Ombudsmann für die private Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. hierzu Anl. K22/GA III 547 ff. und B3/GA I 147 ff.) erklärte der Anspruchsteller unter dem 31.10.2011 per E-Mail (Ausdruck in Kopie Anl. K4/GA I 77 ff.) die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, die er mit E-Mail vom 08.11.2011 (Ausdruck in Kopie Anl. K23/GA III 550 ff.) bekräftigte und die durch die Berufungsgegnerin mit Schreiben vom 27.01.2012 (Teilkopie Anl. K5/GA I 82) zurückgewiesen wurde. Die Beklagte hat am 04.03.2012 die Kündigung des Versicherungsgeschäftes ausgesprochen, der Kläger seinerseits am 24.09.2012. Unter dem 05.10.2012 erfolgte eine anwaltliche Anfechtungs- und Widerspruchserklärung (Kopie Anl. K6/GA I 83 ff. und B5/GA I 151 ff.) für den Rechtsmittelführer. Gegenstand des vorliegenden Zivilprozesses sind hauptsächlich die insgesamt gezahlten Prämien (€ 50.224,85) minus der erhaltenen Beitragsrückerstattungen (€ 8.198,78); von der verbleibenden Differenz (€ 42.026,07) entfallen in der Summe € 5.659,61 auf den Tarif … (vgl. LGU 4; Anl. K13/GA I 93, K22/GA III 547, 548R und K24/GA III 575). Zur näherer Darstellung des Sachverhalts und der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (LGU 2 ff.).

Vom Landgericht Frankfurt (Oder), das in der Eingangsinstanz erkannt hat, ist die Klage abgewiesen worden. Begründend hat die Zivilkammer im Kern ausgeführt: Die Prämien seien im Streitfall nicht ohne Rechtsgrund geleistet worden. Ein etwaiges Widerspruchsrecht habe bereits wegen Ablaufes der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., dessen Anwendungsbereich in der Sparte der Krankenversicherung nicht aufgrund europarechtlichen Vorgaben teleologisch zu reduzieren sei, vom Kläger weder im Jahre 2011 noch später wirksam ausgeübt werden können. Entsprechendes gelte mit Blick auf § 8 Abs. 4 Satz 4 VVG a.F. für ein mögliches Widerrufsrecht. Ebenso wenig liege eine wirksame Anfechtung des Versicherungsgeschäfts vor; innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB habe der Anspruchsteller seine Anfechtungserklärung, die ohnehin auf den Tarif … beschränkt gewesen sei, nicht auf die behauptete Falschberatung durch die Zeugin … gestützt und im Ergebnis der Beweisaufnahme lasse sich eine arglistige Täuschung auch nicht feststellen. Ein potentieller Schadensersatzanspruch sei nicht schlüssig dargetan; Vermögenseinbußen könne der Berufungsführer grundsätzlich nur insoweit erlitten haben, als die Beiträge von ihm selbst aufgebracht worden seien, und im Übrigen müssten sowohl der konkret genossene Versicherungsschutz als auch die Sowieso-Kosten berücksichtigt werden, die für einen anderweitigen Krankenversicherungsschutz aufzuwenden gewesen wären, wobei dort ein Tarif mit voller Beitragsentlastung im Alter ohnehin nicht, jedenfalls nicht zu gleichen Konditionen wie hier, hätte vereinbart werden können. Wegen der Details wird ergänzend auf die Ausführungen in den Gründen des angegriffenen Urteils Bezug genommen (LGU 8 ff.). Den klägerischen Tatbestandsberichtigungsantrag vom 22.10.2015 (GA IV 668) hat das Landgericht durch Beschluss vom 12.11.2015 (GA IV 683 f.) zurückgewiesen.

Die angefochtene Entscheidung ist dem Rechtsmittelführer – zu Händen seiner erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten laut deren Empfangsbekenntnis – am 08.10.2015 (GA IV 661) zugestellt worden. Er hat am 28.10.2015 (GA IV 687) mit Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel – nach am 17.11.2015 beantragter (GA IV 696) und bis zum 08.01.2016 gewährter (GA IV 699) Fristverlängerung – mit einem an diesem Tage bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorab per Telekopie eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz begründet (GA IV 703 ff.).

Der Kläger ficht das erstinstanzliche Urteil – unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung seiner bisherigen Darlegungen – in vollem Umfange seiner Beschwer an. Dazu trägt er speziell Folgendes vor:

Bereits die tatsächlichen Feststellungen der Zivilkammer seien unzutreffend. Die Anfechtungserklärung vom 31.10.2011 umfasse das gesamte Versicherungsgeschäft und keineswegs allein den Tarif … . Bis August 2009 sei nicht die Hälfte der Prämien vom Arbeitgeber gezahlt, sondern lediglich im Innenverhältnis ein Beitragszuschuss gewährt worden. Dass bei Vertragsabschluss alle Unterlagen übergeben wurden, habe nach dem Gesetz der Versicherer zu beweisen, was vom Landgericht offensichtlich verkannt worden sei. Als rechtsfehlerhaft erweise sich dessen Ansicht, eine teleologische Reduktion des § 5 Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei hier nicht möglich. Der Bundesgerichtshof habe in seiner bisherigen Judikatur übersehen, dass die Krankenversicherung insoweit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG mangels eines sachlichen Differenzierungsgrundes mit Lebens- und Rentenversicherungen gleichbehandelt werden müsse; in beiden Sparten seien die Verträge für den Versicherer nicht ordentlich kündbar, hätten die abgeschlossenen Geschäfte für den Versicherungsnehmer über Jahrzehnte eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung und stelle der Gesetzgeber fast identische Anforderungen an die Informationspflichten. Wirtschaftlich handele es sich beim Tarif … um eine faktische Rentenversicherung, da er nach Art einer Lebensversicherung kalkuliert sei und dort in Form einer sogenannten Rückdeckungsversicherung angeboten werde. Begriffe des nationalen Rechts seien für die Bestimmung des Anwendungsbereiches von EU-Richtlinien ohnehin bedeutungslos. Jedenfalls gebiete die 3. Richtlinie Schadensversicherung eine Gleichbehandlung, worüber gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren zu befinden habe. Entsprechendes gelte betreffend § 8 Abs. 4 Satz 4 VVG a.F. Zu Unrecht habe die Zivilkammer ferner eine wirksame Anfechtung wegen arglistiger Täuschung verneint. Selbst im Falle einer bloßen Teilanfechtung folge aus § 139 BGB die Gesamtnichtigkeit des Versicherungsgeschäftes; für eine Beschränkung der Anfechtungsgründe durch ihn, den Rechtsmittelführer, als juristischen Laien gebe es – entgegen der Auffassung der Eingangsinstanz – keinen Anhaltspunkt. Deren Beweiswürdigung, die klägerisches Vorbringen unberücksichtigt lasse und auch im Übrigen mit den gesetzlichen Anforderungen nicht im Einklang stehe, sei insbesondere mit Blick auf die in weiten Teilen unglaubhafte Aussage der Zeugin … widersprüchlich, unzutreffend und ersichtlich ergebnisorientiert; bei richtiger Würdigung hätte das Landgericht eine arglistige Täuschung als erwiesen ansehen müssen. Soweit es einen Schadensersatzanspruch mangels schlüssigen Vortrags verneint habe, beruhe dies einerseits auf dem Übergehen seiner – des Berufungsführers – schriftsätzlichen Ausführungen dazu und andererseits darauf, dass hinsichtlich der Sowieso-Kosten die Darlegungs- und Beweislast verkannt worden sei, die diesbezüglich bei der Beklagten liege.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Beklagte zu verurteilen, ihm zu zahlen

€ 42.026,07 Zinsen in Höhe von 4 % aus € 5.063,88 vom 01.01.2004 bis zum 18.01.2013, € 5.587,44 vom 01.01.2005 bis zum 18.01.2013, iii. € 4.183,26 vom 01.01.2006 bis zum 18.01.2013, € 4.456,73 vom 01.01.2007 bis zum 18.01.2013, € 3.841,02 vom 01.01.2008 bis zum 18.01.2013, € 4.775,84 vom 01.01.2009 bis zum 18.01.2013, vii. € 4.567,91 vom 01.01.2010 bis zum 18.01.2013, € 4.372,35 vom 01.01.2011 bis zum 18.01.2013, € 958,20 vom 01.01.2012 bis zum 18.01.2013, € 4.219,44 vom 01.01.2013 bis zum 18.01.2013, fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 42.026,07 ab 19.01. 2013 weitere € 2.110,11 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 25.04.2013.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt – im Wesentlichen ihre bisherigen Darlegungen ebenfalls wiederholend, vertiefend und ergänzend – das ihr günstige Urteil des Landgerichts. Dazu trägt sie insbesondere Folgendes vor:

Dass der Kläger am 31.10.2011 per E-Mail das Versicherungsgeschäft insgesamt angefochten habe, sei zwischen beiden Seiten keineswegs unstreitig gewesen. Ein Prämienrückzahlungsanspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung scheitere, weil – wie die Zivilkammer zutreffend angenommen habe – im Jahre 2011 kein einseitiges Lösungsrecht (mehr) gegeben gewesen sei. Da der hier in Rede stehende Tarif … nicht in den Geltungsbereich der EU-Lebensversicherungsrichtlinien falle und deshalb – in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine teleologische Reduktion des § 5a VVG a.F. ausscheide, komme es nicht mehr darauf an, dass der Berufungsführer den Erhalt der Widerrufsbelehrung und aller relevanten Unterlagen im Antragsformular vom 18.12.2002 selbst bestätigt habe. Der sachliche Grund, zwischen der Lebens- und der Krankenversicherung zu differenzieren, ergebe sich direkt aus dem Europarecht; in seiner Fassung ab 21.07.1994 habe § 8 VVG nicht der Umsetzung von EU-Richtlinien gedient. Dass die Anfechtungserklärung des Klägers vom 31.10.2011 nicht darauf gestützt worden sei, die Zeugin … habe ihm mitgeteilt, er müsse ab dem 65. Lebensjahr keine Beiträge mehr zahlen, könne keinem Zweifel unterliegen. Die Beweiswürdigung der Zivilkammer sei gemäß § 286 ZPO nicht zu beanstanden. Einen Schaden, wie er stets als Voraussetzung für einen eventuellen Ersatzanspruch vorliegen müsse, habe der Rechtsmittelführer bereits nicht schlüssig dartun können. Keinesfalls aber seien alle gezahlten Prämien auszukehren, weil sich der Versicherungsnehmer zumindest den genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen müsse.

In der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz ist die Sach- und Rechtslage mit den Erschienenen eingehend erörtert worden. Im Termin am 22.11.2017 hat der Senat den Kläger persönlich angehört; wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll (GA IV 847, 848 f.) Bezug genommen. Hinsichtlich der weiteren Details des Sach- und Streitstandes sowie der Prozessgeschichte wird ergänzend auf die Anwaltsschriftsätze beider Parteien nebst Anlagen, auf sämtliche Terminsprotokolle und auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

Die klägerische Berufung ist zwar an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517 ff. ZPO). In der Sache selbst bleibt sie aber erfolglos. Denn die Vorinstanz hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es liegen keine Berufungsgründe vor; weder beruht das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere – für den Berufungsführer günstige(re) – Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte schuldet ihm unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere weder aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 (i.V.m. § 818 Abs. 1) BGB noch im Wege des Schadensersatzes gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, die Rückgewähr sämtlicher Prämien, die netto (unter Abzug der Beitragsrückerstattungen) in den Jahren von 2013 bis 2012 auf die private Krankenversicherung gezahlt wurden, deren Abschluss der Kläger mit seinem Antrag vom 18.12.2002 (Kopie in Anl. K1/GA I 25, 26 f.) begehrt hatte und der von der Berufungsgegnerin vorab per Telefax vom 20.12.2002 (Kopie Anl. K2/GA I 75) bestätigt worden ist. Das Versicherungsgeschäft der Prozessparteien ist wirksam zustande gekommen und bildet den rechtlichen Grund im Sinne des § 812 Abs. 1 BGB für die Leistungen. Durch einseitige Erklärungen in den Jahren 2011 und 2012 konnte sich der Rechtsmittelführer nicht mehr mit Erfolg von dem Vertrag lösen. Schadensersatzansprüche scheitern jedenfalls am Nachweis einer Pflichtverletzung. Da die Hauptforderung unbegründet ist, gilt Gleiches für die geltend gemachten Nebenansprüche. Im Einzelnen verhält es sich wie folgt:

Völlig zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (LGU 9 ff.) und die auch den Angriffen der Berufung standhält, hat das Landgericht angenommen, dass ein eventuelles Widerrufs- oder Widerspruchsrecht des Klägers jedenfalls wegen Ablaufs der einjährigen Ausschlussfrist nicht mehr erfolgreich ausgeübt werden konnte, die in § 8 Abs. 4 Satz 4 VVG a.F. beziehungsweise in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. geregelt ist und die gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. zu § 8 VVG a.F. BGH, Urt. v. 17.12.2014 – IV ZR 260/11, LS und Rdn. 20 ff., juris = BeckRS 2015, 1049, und zu § 5a VVG a.F. BGH, Urt. v. 07.05.2014 – IV ZR 76/11, LS 2 sowie Rdn. 21 und 29, juris = BeckRS 2014, 10269), die der Senat teilt, außerhalb des Geltungsbereiches der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung unverändert Anwendung findet. Dass die genannten Bestimmungen mittlerweile (im Rahmen der VVG-Novelle von 2008) außer Kraft getreten sind, steht dem nicht entgegen; soweit es um die beim Vertragsabschluss zu beachtenden Rechtsvorschriften geht, sind sie im Streitfall, der einen sogenannten Altvertrag im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EGVVG 2008 betrifft, nach generellen intertemporalen Prinzipien (vgl. dazu die amtliche Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein VVG-Reformgesetz, BT-Drucks. 16/3945, S. 47, 118), weiterhin heranzuziehen. Der Kläger übersieht bei seiner in der Hauptsache auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Argumentation, dass Raum für eine teleologische Reduktion von gesetzlichen Normen lediglich dort ist, wo sich eine planwidrige Regelungslücke zeigt. So verhält es sich bei Versicherungsgeschäften, die – wie das hier in Rede stehende – seinerzeit in den Anwendungsbereich der Dritten Richtlinie Schadenversicherung fielen, indes nicht; um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt der Senat insoweit zunächst Bezug auf die überzeugenden Ausführungen in der grundlegenden Entscheidung des BGH, Urt. v. 07.05.2014 – IV ZR 76/11, Rdn. 30 (juris = BeckRS 2014, 10269), denen er sich anschließt. Anders als die EU-Richtlinien betreffend die Lebensversicherung sahen die für den Bereich der Schadensversicherung geltenden weder ein zwingendes einseitiges Lösungsrecht für den Versicherungsnehmer noch Verbraucherinformationen darüber vor, was einen sachlichen Differenzierungsgrund darstellt. Über das auf den Vertrag anwendbare Recht und die Bestimmungen zur Bearbeitung von diesen betreffenden Beschwerden der Versicherungsnehmer, ist der Beklagte im Streitfall – wie in Art. 31 Abs. 1 Dritte Richtlinie Schadenversicherung gefordert – bereits mit den Antragsunterlagen (Kopie Anl. K1/GA I 25, 28 und 31) informiert worden. Dass die Krankenversicherung hinsichtlich der Kündigungsmöglichkeiten des Versicherers, der wirtschaftlichen Bedeutung für den Versicherungsnehmer und der nunmehr geregelten Informationspflichten gewisse Ähnlichkeiten mit einer Lebensversicherung aufweist, rechtfertigt es keineswegs, gesetzliche Bestimmungen, die dafür gelten, nicht anzuwenden. Erst recht gibt es keinerlei Grundlage dafür, einzelne Tarife, die Bestandteil einer Krankenversicherung sind, aus rein wirtschaftlichen oder funktionellen Erwägungen wie eine Lebensversicherung zu behandeln. Die europarechtlichen Vorschriften differenzieren zweifelsfrei nicht nach den Einzeltarifen, sondern nach den Versicherungsarten und lassen eindeutig erkennen, dass eine selbstständige Versicherung, bei der Leistungen wegen Krankheit versprochen werden, keine Lebensversicherung ist. Entscheidungsrelevante europarechtliche Fragen, die einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Wege der Vorabentscheidung bedürfen, stellen sich deshalb – entgegen der Auffassung der Berufung – hier nicht.

Zu Unrecht meint der Rechtsmittelführer, das Landgericht hätte im Rahmen von § 286 Abs. 1 ZPO bei zutreffender Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangen müssen, er sei von der Zeugin … (etwa aus Provisionsinteresse) beim Vertragsabschluss arglistig getäuscht worden. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob einzelne Anfechtungsgründe vom Kläger mit Blick auf § 124 Abs. 1 BGB verspätet vorgebracht wurden, ob seine Anfechtungserklärung vom 31.10.2011 auf den Beitragsentlastungstarif beschränkt gewesen ist und welche rechtlichen Wirkungen dies unter Berücksichtigung von § 139 BGB gehabt hätte. Anlässlich seiner persönlichen Anhörung durch den Senat im Termin am 22.11.2017 hat der Anspruchsteller eingeräumt, dass seine Annahme, ab dem 65. Lebensjahr auf den Tarif … keine Beiträge mehr zahlen zu müssen, nicht auf einer ausdrücklichen Erklärung der Mitarbeiterin der Agentin, sondern auf einer eigenen Schlussfolgerung seinerseits beruhe; Anhaltspunkte dafür, dass ihm dies durch die Zeugin … arglistig suggeriert wurde, sind nicht ersichtlich. Soweit der Kläger seine Rechtsverfolgung auf eine erfolgreiche Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB stützt, trägt er – wovon die Zivilkammer zutreffend ausgegangen ist (LGU 13 f.) – die Darlegungs- und Beweislast für alle tatsächlichen Voraussetzungen (vgl. BeckOK-BGB/Wendtland, 49. Ed., § 123 Rdn. 41, m.w.N.). Die Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. ändert daran nichts; die dortige Beweislastregel greift allein dann ein, wenn zwischen den Parteien Streit darüber besteht, wann die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 VVG a.F. in Lauf gesetzt worden ist, auf die es hier jedoch nicht ankommt. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich die Vorinstanz nicht von einer arglistigen Täuschung des Klägers seitens der Beschäftigten der …-Assekuranz … überzeugen können; vielmehr lasse sich – so heißt es in den Entscheidungsgründen (LGU 14) – nicht beurteilen, was tatsächlich Gegenstand des Beratungsgespräch gewesen sei und welche Aussagen (die der Zeugin oder die des Anspruchstellers) zuträfen. Dagegen ist nichts zu erinnern. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO bedarf es bei der Sachverhaltsfeststellung weder unumstößlicher Gewissheit, die sich in der Praxis ohnehin selten erreichen lässt, noch genügt ein an Sicherheit grenzendes Maß an Wahrscheinlichkeit; vielmehr ist stets ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an persönlicher richterlicher Überzeugung erforderlich, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, Rdn. 72, juris = BGHZ 53, 245; ferner Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 15 Rdn. 44 f.; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 286 Rdn. 18 f.). Dieses Maß an individueller Gewissheit hat das Landgericht im Streitfall aus den von ihm dargestellten Gründen nicht gewinnen können. Dass sich die oben angesprochenen Punkte nicht klären lassen, hat der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Die eigene – vom angefochtenen Urteil abweichende und für den Anspruchsteller günstige – Beweiswürdigung hilft der Berufung nicht weiter. Schlüssige Gegenargumente, die geeignet sind, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen – die Unaufklärbarkeit – infrage zu stellen und konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit zu begründen, speziell zu der positiven Überzeugung zu gelangen, dass der Kläger Opfer einer arglistigen Täuschung durch die Zeugin … geworden ist, ergeben sich für den Senat weder aus den Rechtsmittelangriffen noch im Übrigen. Durch ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, Provision zu verdienen, kann eine Falschberatung zudem nicht veranlasst gewesen sein, weil die Zeugin – nach ihrer Aussage (GA III 584, 588) – als abhängig Beschäftigte der …-Assekuranz … an solchen Einnahmen nicht beteiligt gewesen ist.

Ebenso wenig muss die Beklagte unter Schadensersatzgesichtspunkten für die Rückzahlung der Beiträge aufkommen. Es kann und soll an dieser Stelle explizit offen bleiben, ob – was sehr fraglich erscheint – eine Verbraucherinformation, die nicht den Anforderungen von Abschn. D Nr. 1 und 3 VAG-Anlage a.F. i.V.m. § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F., Bestimmungen des öffentlichen Versicherungsaufsichtsrechts, genügte, stets zugleich eine Verletzung von Pflichten aus dem Schuldverhältnis nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB beinhaltete oder gar eine Schutzgesetzverletzung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Denn im Streitfall ist schon nicht erwiesen, dass dem Kläger speziell die Besonderen Bedingungen für den Tarif … nicht ausgehändigt worden sind. Zwar waren sie im Konvolut der Antragsunterlagen (Kopie Anl. K1/GA I 25 ff.) nicht enthalten; das schließt aber eine separate Übergabe bei der Antragstellung keineswegs aus. Mit Darlegung und Nachweis belastet ist insoweit nach allgemeinen Grundsätzen der Berufungsführer als Anspruchsteller; die Beweislastregel des § 5a Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. hilft ihm auch in diesem Zusammenhang nicht weiter. Unabhängig davon liegt ein Vermögensschaden, hinsichtlich dessen Gleiches gilt, in aller Regel lediglich dann vor, wenn sich – im Wege der sogenannten Differenzhypothese – bei einer Gesamtbetrachtung ergibt, dass die durch das Schadensereignis geschaffene Güterlage ungünstiger ist als die unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachte (so Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., Vorb. v. § 249 Rdn. 10, m.w.N.). Davon zu unterscheiden ist wiederum die Berücksichtigung sogenannter Sowieso- oder Ohnehin-Kosten, die im Rahmen der Vorteilsausgleichung geschieht und anderen Regeln folgt (vgl. Palandt/Grüneberg aaO Rdn. 67, 75 und 93). Da eine private Krankenversicherung zweifelsfrei nicht mit einem Kapitalanlagegeschäft vergleichbar ist, genügt allein der Abschluss eines unerwünschten Vertrages grundsätzlich nicht, um einen Schaden zu bejahen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 11.05.2006 – III ZR 228/05, LS und Rdn. 8 ff., juris = BeckRS 2006, 7549). Das gilt hier umso mehr, weil der Berufungsführer unstreitig zu Vorsorgezwecken eine Krankenversicherung nehmen wollte, damals für ihn nach seinen eigenen Bekundungen Anlass zu Eile bestand, weil der bisherigen Versicherer eine Beitragsverdoppelung forderte (GA III 584, 590), und seit 01.04.2007 respektive 01.01.2009 sogar eine allgemeine Versicherungspflicht besteht. Dass der Zeugin …, die damals bei der …-Assekuranz … angestellt war, im Rahmen der individuellen Beratung des Klägers Fehler unterlaufen sind, hat das Landgericht bereits aus tatsächlichen Gründen nicht feststellen können (LGU 14); lediglich ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass beim Abschluss des Vertrages im Jahre 2002 den §§ 6 und 61 VVG 2008 entsprechende gesetzliche Regelungen noch nicht existierten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach fallen die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels dem Kläger zur Last, weil er es eingelegt hat.

Der Ausspruch betreffend die vorläufige Vollstreckbarkeit des Berufungsurteiles und der angefochtenen Entscheidung ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO sowie aus § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO. Art und Umfang der Sicherheitsleistung hat der Senat gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung der in § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO und in § 239 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken bestimmt. Zu Sicherungszwecken gegebene Zahlungsversprechen von Kreditversicherern sind – insbesondere nach der Auffassung des Gesetzgebers selbst (vgl. u.a. Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf der Bundesregierung für ein Bauhandwerkersicherungsgesetz, BT-Drucks. 12/4526, S. 9, 11) – denen der Kreditinstitute gleichwertig (arg. § 648a Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. = § 650f Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.; § 31 Abs. 3 Nr. 1 EEG 2017; § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ElektroG; § 14 Abs. 1 Satz 3 WBVG; § 17 Abs. 2 VOB/B).

Die Revision wird vom Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Denn die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche – über den Streitfall hinausgehende – Bedeutung (für eine unbestimmte Vielzahl zu erwartender Streitigkeiten, in denen sich die gleichen Fragen als klärungsbedürftig erweisen) noch erfordert die Fortbildung des Rechtes oder die Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Das Berufungsurteil des erkennenden Senats beruht im Kern auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich bisher noch ungeklärte Fragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalls betreffen, sind nicht ersichtlich.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes für das Berufungsverfahren basiert auf § 3 ZPO i.V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Als für die Wertbestimmung maßgeblich erweist sich das – in den Rechtsmittelanträgen vom 08.01.2016 (GA IV 726 f.) zum Ausdruck gebrachte – wirtschaftliche Interesse des Berufungsklägers an seiner (weiteren) Rechtsverfolgung in zweiter Instanz (vgl. dazu BeckOK-KostR/Schindler, 25. Ed., GKG § 47 Rdn. 1; BDZ/Dörndorfer, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl., GKG § 47 Rdn. 2 f.). Bei den geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten des Anspruchstellers handelt es sich – ebenso wie bei den verlangten Zinsen – um eine Nebenforderung, die nach § 43 Abs. 1 GKG stets streitwertneutral bleibt (vgl. insb. BGH, Beschl. v. 25.09.2007 – VI ZB 22/07, Rdn. 4 ff., juris = BeckRS 2007, 17108; ferner BDZ/Dörndorfer aaO, § 43 Rdn. 2; NK-GK/Schneider, 2. Aufl., GKG § 43 Rdn. 16; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 4 Rdn. 13, m.w.N.).

Weitere Artikel zum Thema

Anscheinsbeweis spricht bei Alleingesellschafter-Geschäftsführer trotz Nutzungsverbots für Privatnutzung
Welche Anforderungen gelten für die Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG?
Steuervorbescheide (Tax rulings): Die Gesellschaften multinationaler Konzerne in Belgien gewährten Steuervergünstigungen stellen eine rechtswidrige Beihilferegelung dar

Relevante Kategorien

AllgemeinGesellschaftsrechtRechtsprechungSteuerrechtSteuerstrafrechtVertragsrechtWirtschaftsstrafrecht