Wirtschaftsstrafrecht

Versuchssituation bei der Untreue i.S.d. § 266 StGB – Gefährdungsschaden oder doch ein Schaden?

 

Kann die aus § 263 StGB (Betrug) entwickelte Figur des Gefährdungsschadens tatsächlich auf die Untreue i.S.d. § 266 StGB übertragen werden?

 

Auch ein Beitrag zum HSH Nordbank Fall zur Untreue des mutmaßlichen „Delinquenten“ Dr. Nonnenmacher

 

Überträgt man ohne Einschränkung den Begriff des Schadens auf den des Nachteils oder aber will man die sog. Gefährdungssituationen bereits als Nachteil verstehen, so führt das – bezogen auf die ursprünglich von der Rechtsprechung für die Bestimmung des Vermögensschadens in Sonderfällen des Betrugs entwickelte Doktrin der schadensgleichen Vermögensgefährdung – dazu, dass der Tatbestand der Untreue möglicherweise in gegen Art. 103 II GG verstoßender Weise überdehnt wird, weil die fehlende Versuchsstrafbarkeit der Untreue unterlaufen wird.

Was ist aber die typische Versuchssituation? Und warum ist der Gefährdungsschaden nicht auf die Untreue übertragbar?

 

Versuch – konsequente Grundlagen

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt, vgl. § 23 Abs. 1 StGB. Ein Versuch ist das „vom Tatentschluss getragene, unvollkommen verwirklichte Unrecht“. Er ist demnach „die vollständig gewollte, aber unvollständig gebliebene Tat“; der vollständigen Erfüllung des subjektiven Tatbestandes muss „ein Mangel im objektiven Tatbestand gegenüberstehen“. Der Legaldefinition des § 22 StGB folgend beginnt der Versuch einer Straftat, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Der Täter muss mithin zunächst einmal zur Tat entschlossen sein, wobei eine bloße Tatgeneigtheit, der Tatentschluss auf bewusst unsicherer Tatsachengrundlage sowie der Tatentschluss mit Rücktrittsvorbehalt nicht genügt. Daneben muss er seine Tatentschlossenheit durch Handlungen umsetzen, die mindestens zur Tatbestandsverwirklichung ansetzen.

Entschluss bedeutet dabei „die Verwirklichung des gesamten subjektiven Tatbestandes“. Damit ist Vorsatz ein notwendiges Element, wobei bedingter Vorsatz regelmäßig – in Abhängigkeit vom jeweiligen Tatbestand –  genügt, vgl. etwa Joecks § 22 Rn. 4. Dieser muss freilich die Versuchshandlung tragen. Bei Erfolgsdelikten muss der Vorsatz damit auch auf die Herbeiführung des Erfolgs gerichtet sein. Ein Umsetzen der Tatentschlossenheit durch Handlungen des Täters meint „unmittelbares Ansetzen“. Das unmittelbare Ansetzen ist dabei das objektive Unrechtselement des Versuchs. Hierfür genügt „jedenfalls die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlungen“, vgl. Joecks § 22, R. 18. Im Übrigen soll ein unmittelbares Ansetzen jedenfalls dann vorliegen, wenn die Handlungen des Täters nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert sind und im Falle des ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen. Dies ist freilich in Abhängigkeit davon zu sehen, welche der vertretenen Auffassungen – etwa Teilaktstheorie, Gedanken der unmittelbaren Gefährdung des Rechtsguts etc. – favorisiert werden.

Der Versuch liegt zwischen Vorbereitung und Vollendung einer Straftat. Zur Abgrenzung des Versuchs von der Vorbereitungsphase werden dabei verschiedene Theorien vertreten, wobei die Abgrenzung im objektiven Tatbestand vorgenommen wird. Nach der von der früheren Rechtsprechung vertretenen formal-objektiven Theorie galt als Anfang der Tatausführung der Beginn der „tatbestandsmäßigen Handlung“. Für ein Überschreiten der Grenze zum Versuch sollte dementsprechend ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht worden sein. Demgegenüber kam es nach der subjektiven Theorie ausschließlich auf das Vorstellungsbild des Täters an. Diese Theorie stellte also nicht auf objektive Kriterien ab, was den Beginn des strafbaren Versuchs zu weit in die (regelmäßig straffreie) Vorbereitungsphase beförderte. Die gemischt subjektiv-objektive Theorie vereint die vorgenannten Theorien. Nach ihr soll es sowohl auf die Vorstellung des Täters als auch auf die Unmittelbarkeit des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut ankommen; es werden subjektive und objektive Kriterien kombiniert.

Die letztgenannte Theorie kommt der Legaldefinition des § 22 StGB deutlich am nächsten. Denn es wird sowohl die „Vorstellung des Täters von der Tat“ als subjektives Kriterium als auch das „unmittelbare Ansetzen“ als objektives Kriterium berücksichtigt. Hiernach soll unmittelbares Ansetzen also dann vorliegen, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt-geht`s-los“ überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung angesetzt hat, wobei sein Tun nach seiner Vorstellung vom Tatablauf ohne Zäsur und ohne weitere wesentliche Zwischenakte in die eigentliche Tatbestandshandlung einmünden soll, sodass aus seiner Sicht das Angriffsobjekt konkret gefährdet erscheint.

Da der Versuch eine Vorverlagerung der Strafbarkeit in einen Bereich bedeutet, in dem das Verhalten des Täters – abgesehen vom sog. qualifizierten Versuch – noch ohne Folgen war (Joecks), gibt § 24 StGB das Privileg an die Hand, vom Versuch strafbefreiend zurückzutreten, sofern der Versuch nicht fehlgeschlagen ist, wobei eine Differenzierung vom unbeendeten und beendeten Versuch vorgenommen wird, vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 StGB (Joecks § 24 Rn. 2). Verzichtet der Täter also auf die Vollendung der Straftat oder nimmt er die von ihm zu verantwortenden Bedingungen für deren Eintritt zurück, kommt ihm im Gegenzug der Rücktritt zugute. Zur Begründung der Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts werden verschiedene Theorien vertreten, namentlich die Lehre von der „goldenen Brücke“, die Gnadentheorie, die Strafzwecktheorie, die Schulderfüllungstheorie sowie die Tatänderungstheorie, hierzu Joecks § 24 Rn. 3 ff.

Beendet ist der Versuch, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben. Im Umkehrschluss ist er unbeendet, wenn der Täter glaubt, zur Vollendung des Tatbestandes bedürfe es noch weiteren Handelns. Insoweit kommt es zur Abgrenzung auf die subjektive Vorstellung des Täters an, wobei regelmäßig von der rücktrittsfreundlichen Gesamtbetrachtungslehre (sog. Einheitstheorie) ausgegangen wird.

Nach der sog. Einheitstheorie ist ein Versuch dabei „noch unbeendet und nicht fehlgeschlagen, solange der Täter nach dem Scheitern eines ersten Versuchsakts die Tat ohne zeitliche Zäsur gegebenenfalls mit anderen einsatzbereiten Mitteln noch vollenden kann, hierauf aber verzichtet, wenn die vorausgegangenen, erfolglos gebliebenen mit den neuen Teilakten einen einheitlichen Lebensvorgang bilden“.

Für den Einzeltäter bedeutet das schließlich, dass er vom unbeendeten Versuch strafbefreiend zurücktreten kann, wenn er von den weiteren Tatausführungen freiwillig Abstand nimmt, wobei zwar nicht unumstritten ist, wann eine solche Freiwilligkeit vorliegt, diese jedoch – der h.M. folgend – bei Vorliegen von autonomen Motiven bejaht werden kann. Liegt ein beendeter Versuch vor, muss der Täter freilich die Vollendung der Tat durch eigene Tätigkeit verhindern, wobei auch hier umstritten ist, was das letztlich für den Täter bedeutet; ein freiwilliges bloßes Abstandnehmen genügt hier jedenfalls nicht.

Die Vollendung

 Sofern sowohl die objektiven als auch die subjektiven Merkmale des in Rede stehenden Tatbestandes erfüllt sind, ist die Tat formal vollendet, wobei sich dies nach der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale richtet. Bei Erfolgsdelikten ist die Tat mithin erst dann vollendet, wenn der tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg eingetreten ist.

So ist für die §§ 263 und 266 StGB der Eintritt des Vermögensschadens bzw. der Vermögensnachteil erforderlich. Wird lediglich eine Handlung vorausgesetzt – wie etwa für § 316 StGB –, ist der Tatbestand dann vollendet, wenn gehandelt worden ist. Bei den Gefährdungsdelikten genügt freilich der Eintritt der Gefahr.

Da mit Vollendung der Tat auch das Versuchsstadium beendet ist und dem Täter somit kein Rücktrittsrecht mehr zur Seite steht, ist eine Abgrenzung von Versuch und Vollendung vorzunehmen.

 Die Beendigung

 „Unter Beendigung versteht man den endgültigen Abschluss des Tatgeschehens, wobei sich der vom Täter erstrebte Erfolg und die Rechtsgutsverletzung verbinden.“ Die Beendigung stellt die Phase nach der Vollendung dar, vgl. Joecks § 22 Rn. 6. Mit der Beendigung ist das gesamte Handlungsgeschehen zum Abschluss gekommen.

Diese Phase erlangt insbesondere dadurch Bedeutung, als dass sie für den Beginn der Verfolgungsverjährung von Interesse ist, vgl. Joecks § 22 Rn. 4. Denn diese beginnt mit der Tatbeendigung, vgl. § 78a StGB. Insoweit bedarf es regelmäßig einer Abgrenzung zwischen Vollendung und Beendigung der Tat. Auch ist zwischen Vollendung und Beendigung noch eine Beteiligung möglich, vgl. Joecks § 22 Rn. 5.

 

Konsequenz für den Straftatbestand der Untreue

 

Ist die Figur des Gefährdungsschadens ein „Rechtskrüppel“ oder eine inhaltsleere Phrase? Was heißt das für Nonnenmacher und Co.?

Die Vollendung der Untreue ist freilich dann anzunehmen, wenn – abgesehen von den subjektiven Voraussetzungen – ein Nachteil durch die Tathandlung eingetreten ist. Dabei soll auch der sog. Gefährdungsschaden zur Vollendung der Untreue führen.

Die für den Beginn der Strafverfolgung maßgebende Beendigung der Untreue ist erst durch die Realisierung dieser Gefährdung bzw. mit dem endgültigen Vermögensverlust zu bejahen. Vollzieht sich der Vermögensnachteil durch verschiedene Teilakte, ist die Beendigung „mit Verlust des letzten vom Vorsatz umfassten Vermögensnachteils gegeben“.

Unterstellt man, dass die versuchte Untreue strafbar wäre, so ergäbe sich folgendes: Der Versuch liegt zwischen Vorbereitung und Vollendung einer Straftat. Die Untreue soll dabei vollendet sein, wenn entweder ein „Schaden“ eingetreten ist, oder aber schon dann, wenn eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vorliegt. Ein Versuch ist „die vollständig gewollte, aber unvollständig gebliebene Tat“; der vollständigen Erfüllung des subjektiven Tatbestandes muss „ein Mangel im objektiven Tatbestand gegenüberstehen“.

Wenn ein Schaden also (noch) nicht eingetreten ist, würde es am Erfolg mangeln, sodass grundsätzlich die typische Versuchssituation vorliegen würde. Den obigen Ausführungen folgend, würde jedoch auch eine Vollendung der Untreue vorliegen. Denn eine schadensgleiche Vermögensgefährdung soll für die Vollendung der Untreue genügen. Insoweit läuft man Gefahr die Vollendungsphase in die Versuchsphase auszuweiten, was jedoch der fehlenden Versuchsstrafbarkeit bei der Untreue widerspricht.

Insbesondere dann, wenn man sich vor Augen führt, dass in der Versuchsphase ein strafbefreiender Rücktritt möglich ist, ist dies bezogen auf die fehlende Versuchsstrafbarkeit bei der Untreue überaus bedenklich. Denn durch die Vorverlagerung der Vollendung auf Situationen, die tatsächlich einer Versuchssituation entsprechen, wäre der Täter eines solchen strafbefreienden Rücktritts „beraubt“. Ebenso wäre der Täter um des Strafmilderungsgrundes i.S.d. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB beschnitten.

Etwas anderes würde sich auch nicht daraus ergeben, dass die Begrifflichkeiten Nachteil und Schaden nicht identisch sind. Denn der Terminus „Nachteil“ würde danach weiter als derjenige des „Schadens“ sein. Ein Nachteil wäre danach eine ungünstige Lage, also ein Umstand, der auf das Vermögen eine ungünstige Wirkung hat. Auch hiernach wird sich die ungünstige Lage auf das Vermögen möglicherweise erst noch auswirken. Insoweit erfasst zwar der Begriff Nachteil auch den sog. Gefährdungsschaden. Dennoch ergibt sich in Bezug auf die Vorverlagerung in die Versuchsphase nichts anderes.

 Möglicherweise trügt jedoch der Schein. Zwar wird von „schadensgleicher Vermögensgefährdung“ oder auch „Gefährdungsschäden“ gesprochen. Allerdings könnte es sich dabei auch lediglich um unglücklich gewählte Begrifflichkeiten handeln, sodass sich diese Problematik gar nur als Scheinproblem herausstellt. Denn unabhängig von der Terminologie ist ein Nachteil bzw. Schaden zu quantifizieren. Ist dieser erst einmal taxiert, kann auch nicht von einer Gefahr eines Schadens, als vielmehr von einem Schaden gesprochen werden.

Auch die von Hinrich thematisierte Problematik, der Verfolgungsverjährung wäre damit aufgelöst, weil nicht lediglich die Gefahr eines Schadens als vielmehr ein tatsächlicher (wirtschaftlicher) Schaden vorläge.

Die ganze Weisheit kann man nun wieder an den mutmaßlichen „Casino-Betreibern“ oder genauer den Bankenmanagern exemplifizieren. Als Beispiel kann erneut der vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fall der Untreue von Vorständen einer Bank, die mit der Vergabe von Krediten befasst waren, dienlich sein.  Die Kredite, die selbst nach Zahlungsschwierigkeiten ausgekehrt worden waren, waren zumindest in ihrem Bestand gefährdet. Der Verkehrswert der im Bestand gefährdeten Forderung stand damit hinter derjenigen einer vollwertigen Forderung zurück, da ein potentieller Käufer einer solchen gefährdeten Forderung gewiss nicht mehr zahlen würde, als er einziehen zu können glaubt, vgl. auch FS-Samson-Joecks, S. 366. Könnte man diesen Minderwert (oder genauer: diese Gefahr des Ausfalls) der Forderung quantifizieren, hieße das nicht etwa, dass die Gefahr eines Schadens bestünde, sondern das bedeutete, dass sich der Schaden aus der taxierten Gefahr eines solchen Kreditausfalls ergäbe. In dem genannten Fall also möglicherweise schon aus dem Minderwert der Kreditforderung, der sich als Differenz eines Verkehrswertes der Kreditforderung bei eingegangenem Risiko und demjenigen einer einwandfreien Kreditforderung ergibt. Der Nachteil ergibt sich also schlussendlich aus der bewerteten Gefahr bzw. der Bewertung des Risikos zum Zeitpunkt der Tat. Eine solche Taxierung wird mit wirtschaftlichen Berechnungsmethoden erfolgen müssen. Wegen des Grundsatzes in dubio pro reo, gleichwohl mit einem möglichst marginalen Betrag – oder wie der Wirtschaftswissenschaftler es nennen würde: unter Beachtung des Vorsichtsprinzips – beziffert werden.

 

Die Figur des sog. Gefährdungsschaden stellt also nichts weiter als eine Krücke für denjenigen dar, dessen Verstand am Stock gehen muss, oder?

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